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10.3.2005 taz Ausland 125 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 10
Im zwischen Milizen umkämpften Distrikt Ituri warnen Hilfswerke vor einem Massensterben unter Vertriebenen. Die neue militärische Entschlossenheit der UN-Blauhelmtruppe hat die Notlage der Menschen bisher eher verschärft
BERLIN taz • Die Kriegsregion Ituri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo kommt nicht zur Ruhe. Nachdem Milizionäre am 25. Februar neun UN-Soldaten töteten und ein UN-Gegenangriff am 2. März mindestens 50 Tote forderte, warnen Hilfswerke jetzt vor einer dramatischen Verschlechterung der Lage in den UN-geschützten Vertriebenenlagern, deren Bewohnerzahl nach UN-Angaben in den letzten zwei Wochen von 70.000 auf 88.000 gestiegen ist. Die Zustände in den Camps seien "erschreckend", sagte Markus Sack von der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH), dem größten in Ituri tätigen privaten Hilfswerk.
In Reaktion auf die Ermordung der UN-Blauhelme hatten UN-Hilfswerke am 1. März die Versorgung der meisten Lager eingestellt, mit dramatischen Folgen. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen (MSF), das zu Wochenbeginn das größte Lager Tché wieder betrat, registrierte 25 Tote und grassierenden Durchfall.
Gestern erklärte die humanitäre UN-Abteilung OCHA, die zuvor auf mindestens zehn pro Tag geschätzte Todesrate in den Lagern sei "wieder unter Kontrolle" und die Hilfe werde wieder aufgenommen. "Allerdings bleibt die Situation sehr angespannt und das Risiko, dass Hilfe erneut abgeschnitten wird, ist real", sagte Modibo Traoré, OCHA-Chef in Ituris Hauptstadt Bunia.
Die DWHH warnte vor einer Hungersnot für 500.000 Menschen in Ituri, sollte es nicht gelingen, der geflohenen Landbevölkerung rasch die Rückkehr auf ihre Felder zu ermöglichen. Ein baldiges Ende der Kämpfe zwischen Milizen der Hema- und Lendu-Völker, die seit Ende 2004 über 100.000 Menschen in die Flucht getrieben haben, ist das erklärte Ziel der UN-Truppen in Ituri. Die Blauhelme gingen letzte Woche in die Offensive gegen die Lendu-Miliz FNI (Nationalistische Kräfte für Integration), die für die Ermordung von neun UN-Soldaten aus Bangladesch verantwortlich gemacht wird. FNI-Führer wurden verhaftet und mindestens 50 Menschen, darunter nach UN-Schätzungen bis zu 15 Zivilisten, starben am 2. März bei einem UN-Angriff auf die FNI im Dorf Loga.
Seit dem Vorfall, den die Monuc als Beginn einer allgemeinen Kampfansage an Ituris Milizen darstellte, hat es offenbar keine weiteren Gefechte mit UN-Beteiligung gegeben. Damit zerschlagen sich auch Hoffnungen der vertriebenen Hema, die UNO werde ihnen jetzt mit Gewalt die Rückkehr in ihre Dörfer ermöglichen. Hema-Gruppen zufolge hielt die FNI in Loga verschleppte Hema als Sexsklaven. Aber der Ort ist bis heute nicht gesichert. Ein MSF-Team, das am Freitag Loga besuchte, fand den Ort zum Teil zerstört und erfuhr, zahlreiche Verletzte würden sich im Busch versteckt halten.
Monuc-Sprecher Mamadou Bah erklärte gestern, die FNI setze ihre Angriffe auf die Bevölkerung fort. Am Freitag hätten die Lendu-Milizen das Dorf Mokambo verwüstet, am Samstag die Dörfer Nyamukawa, Zavi und Pena. Markus Sack von der DWHH sagt, die Festnahme der FNI-Führung durch die Monuc habe "Anarchie" in der Miliz produziert: "Sie haben die Schlange geköpft, aber der Schwanz hat sich selbständig gemacht."
Einen Lichtblick gibt es offenbar alleine im Norden von Ituri, wo bisher die Miliz FAPC (Bewaffnete Kräfte Kongolesischer Patrioten) herrschte und sich aus den Einnahmen des Zollpostens Aru an der Grenze zu Uganda finanzierte. Nachdem Kongos Allparteienregierung Ende Februar die Entsendung der bisher einzigen Brigade der neuen geeinten kongolesischen Armee nach Aru ankündigte, um "die Quellen von Staatseinnahmen zu schützen", beorderte die FAPC letzte Woche ihre 4.000 Kämpfer in die Demobilisierungslager der UNO. Bisher hatte das im September 2004 gestartete UN-Demobilisierungsprogramm in Ituri nur 3.000 der 15.000 Milizionäre erreicht.
DOMINIC JOHNSON