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2.1.2010 taz Nr. 9078 Ausland 157 Zeilen, LYN LUSI S. 09
Beim Kampf gegen Vergewaltigung im Osten des Kongo geht es nicht nur um Kriegsverbrechen, sondern auch um soziale Veränderung. Ein Erfahrungsbericht
AUS GOMA LYN LUSI
Die Frau dachte, sie sei endlich in Sicherheit. Vor dem Krieg zwischen Kongos Regierungsarmee und ruandischen Hutu-Milizen im Ostkongo war sie geflohen, tief in den Kongo hinein, in die Kleinstadt Lubutu in der bitterarmen Urwaldprovinz Maniema. Aber dann wurde sie von einem Pfleger im Krankenhaus Lubutu vergewaltigt. Für den Pfleger war die 46-Jährige ein Nichts: eine Vertriebene, eine Besitzlose vom fernen Waldvolk der Bahunde. Er hingegen gehörte zum Volk der Kumu, die traditionellen Besitzer und Beherrscher von Lubutu.
Das Vergewaltigungsopfer fand erneut Zuflucht, im Frauenhaus von Heal Africa bei unserer Mitarbeiterin Mama Chibalonza. Sie brauchte Hilfe, und sie brauchte Gerechtigkeit. Die Beweislage wurde der Polizei vorgelegt, der Pfleger kam in Haft. Noch in der gleichen Nacht, um vier Uhr früh, klingelte Chibalonzas Handy. Es war der gewählte Parlamentsabgeordnete für den Wahlkreis Lubutu, der aus der Provinzhauptstadt Kindu anrief. Er drohte ihr: Lass meinen Neffen in Ruhe, sonst wird es dein Blut sein, das fließt.
Am nächsten Morgen belagerte eine Kumu-Menschenmenge das Haus. Unsere Mitarbeiterinnen mussten sich verstecken. Der Distriktverwalter von Lubutu überstellte den Häftling schnell in die nächste Stadt Punia und schickte Polizei, um unser Haus zu schützen. Aber seit diesem Tag war unsere Arbeit unmöglich, und Lubutu wurde mit jedem Tag gefährlicher.
Aus Goma, mehrere hundert Kilometer östlich, machte sich unsere Mitarbeiterin Mama Muliri auf den Weg, um zu versuchen, Unterstützung für Frauen zu mobilisieren. Aber es gab keine direkte Flugverbindung. Schließlich flog sie in die nächste Großstadt Kisangani und durch den Wald 200 Kilometer östlich nach Lubutu - eine harte Reise für eine 56-Jährige. Sie kam am Freitag um Mitternacht an. Niemand außer ihren Kolleginnen wusste davon, und sie behielten es für sich. Sie begannen zu beten, und beteten weiter den ganzen nächsten Tag, für den Sieg über das Böse.
Am Sonntag früh rief Mama Muliri den in Punia ansässigen Juristen der US-Rechtshilfeorganisation ABA (American Bar Association) an. Er erklärte sich bereit, zu kommen, aber er hatte kein Transportmittel. Man müsse ihm ein Motorrad schicken. Unsere Mitarbeiterinnen holten also den Motorradfahrer von Heal Africa, aber er weigerte sich. Die Route führe direkt durch das Dorf des Vergewaltigers, und man werde ihn dort in Stücke reißen, sagte er. Er war durch nichts umzustimmen. Schließlich sagten ihm die Führer des lokalen Frauenkomitees, er werde seine Arbeit verlieren und nie wieder eine andere bekommen, wenn er sich jetzt weigere.
Er fuhr los und kam unbehelligt am Abend in Punia an und brachte den Juristen am Montag mit zurück. In der Zwischenzeit suchte Mama Muliri prominente Kumu-Persönlichkeiten auf, die bisher Freunde der Arbeit von Heal Africa gewesen waren. In Diskussionen wurden über siebzig traditionelle Kumu-Führer identifiziert und zu einer dreitägigen Versammlung gebeten, um den Konflikt zu lösen. Alle sagten zu. Die Versammlung fand im Frauenhaus statt.
Am ersten Tag dominierten Zorn und Feindseligkeit. Der ABA-Jurist erklärte geduldig das Gesetz, und wie und warum man es umsetzen muss. Er wurde ständig unterbrochen, aber sprach einfach weiter, immer wieder. Nach diesem Tag ergriff einer der Chiefs das Wort, stellvertretend für alle, und sagte: "Wir hatten keine Ahnung. Wir dachten, Vergewaltigung ist nur, wenn die Frau unter 18 ist. Man hat uns gesagt, Mama Chibalonza kriegt 1.000 US-Dollar für jeden Mann, den sie verhaftet." Am nächsten Tag wurde Konfliktlösung diskutiert und die Frage, wie Führungspersonen mit Konflikten umgehen, die ihre Gemeinschaft spalten.
Am dritten Tag war die Gemeinschaft vereint. Es gab einen Marsch durch Lubutu, mit der Blaskapelle der lokalen Kimbanguisten-Kirche an der Spitze, dann alle traditionellen Führer in ihren Prachtroben zusammen mit Mama Chibalonza, dann alle die Frauen mit Transparenten. Der Marsch ging sogar quer durch das Dorf des Vergewaltigers, bis zum Büro des Distriktverwalters. Der hielt eine Ansprache: Das Gesetz ist das Gesetz, ob man es mag oder nicht. Und alle versicherten lautstark, sie würden ab jetzt die Gemeinschaft sicher für Frauen machen, egal ob reich und mächtig oder arm und verletzlich.
Lyn Lusi ist Programmleiterin des Hilfswerks Heal Africa im ostkongolesischen Goma, das dort die größte spezialisierte Einrichtung zur Behandlung von Vergewaltigungsopfern im Ostkongo betreibt.