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26.2.2010 taz Nr. 9125 Meinung und Diskussion 177 Zeilen, MUEPU MUAMBA / PAUL INDONGO-IMBANDA S. 11, taz-Debatte
125 Jahre nach der Berliner Konferenz zur kolonialen Aufteilung Afrikas beginnt der Kontinent endlich, sich seine Geschichte zurückzuholen
Völker und Länder erfinden sich meist ihre eigenen Geschichten selbst. Zuweilen haben diese mit der Realität sehr wenig zu tun. Etwas ist faul in der Republik Frankreich, schrieb neulich Belgiens früherer Premierminister Guy Verhofstadt; er bezog sich auf die französische Debatte um "nationale Identität", die Herrn Sarkozy ja viel bedeutet. Aber ist die französische Überreife wirklich neu? Starb die Französische Revolution nicht schon vor zweihundert Jahren in Haiti, als Napoleon Toussaint L'Ouverture überlistete, um ihn im Fort Joux einsperren lassen, wo er erfror? Das Wort Napoleons war noch weniger wert als das eines Piraten. Das Wort Sarkozys auch.
"Solange die Tiere nicht ihre eigenen Erzähler haben, werden Geschichten von der Jagd immer den Jäger preisen", lautet ein afrikanisches Sprichwort. In Afrika wird bis heute der Jäger gepriesen. Dabei hat Afrika seine eigenen Helden, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Insofern ist es für Afrika dringend geboten, endlich die eigene Geschichte selbst zu interpretieren, statt sich stets auf Auslegungen anderer zu verlassen.
Für Afrikas Vergangenheitsaufarbeitung ist die Berliner Afrika-Konferenz von 1884/85 ein wichtiger Ausgangspunkt. Hier legten die Europäer die Aufteilung Afrikas fest - unter Ausschluss der Afrikaner. Aktuell erinnert ein in Berlin stattfindendes "Tribunal" an das 125-jährige Jubiläum dieser Konferenz, die in Deutschland heute so gut wie vergessen ist.
Die Berliner Afrika-Konferenz tagte vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 auf Einladung des Deutschen Reichs und der Französischen Republik unter Beteiligung weiterer zehn europäischer Staaten sowie der USA und des Osmanischen Reichs. Es war die Zeit, in der der Expansionismus der Großmächte, verharmlosend "Wettlauf um Afrika" genannt, seinen Höhepunkt erreicht hatte. Auf die Annexion Ägyptens durch Großbritanniens folgte der Anspruch Frankreichs auf Zentralafrika. 1884 rief Belgiens König Leopold II. den "Kongo-Freistaat" aus, dazu kamen alte portugiesische Herrschaftsansprüche und neue aus Deutschland. Um diese Konflikte zu lösen, bestätigte die am 26. Februar 1885 verabschiedete Generalakte der Konferenz den Kongo-Freistaat und verfügte für Europäer Handelsfreiheit im Kongo-Becken sowie den freien Verkehr auf den Flüssen Kongo und Niger. Außerdem wurde festgelegt, dass der Erwerb einer Kolonie in Afrika mit tatsächlicher Besetzung des fraglichen Gebiets einhergehen muss.
In der internationalen Geschichtsschreibung wird häufig festgestellt, die Berliner Konferenz habe die willkürliche Aufteilung Afrikas zwischen europäischen Mächten zur Folge gehabt. In Wirklichkeit war sie weniger und mehr als dies. Weniger, weil sie sich darauf beschränkte, die bereits erreichten "Rechte" zu registrieren und Spielregeln für den Fortgang der Kolonisierung aufzustellen. Mehr, weil dies den Anfang der eigentlichen Kolonisierung Afrikas bedeutete. Von da an gab es keine kostspieligen Sklavenrazzien mehr, keine unkoordinierten Besatzungszüge, nur noch durchdachte und gut organisierte Ausplünderung. Die Ausbeutung wurde systematisch und dauerhaft.
Die Konferenzteilnehmern wussten sehr wohl, was sie taten. So merkte der britische Botschafter Sir Edward Malet in seiner Eröffnungsrede an, "dass in unserem Kreis keine Eingeborenen vertreten sind und dass die Beschlüsse der Konferenz dennoch für sie von größter Wichtigkeit sein werden". Reichskanzler Otto von Bismarck stellte das Prinzip der "Terra Nullius" auf, also Niemandsland, um den afrikanischen Kontinent zu definieren. So markierte Berlin den Höhepunkt einer Entwicklung, die mehrere Jahrhunderte zuvor eingesetzt hatte: die Entwürdigung und Enteignung der Afrikaner.
Schon 1454 hatte Papst Nikolaus V. dem König von Portugal die Verfügungsgewalt über das gesamte afrikanische Festland erteilt und ihm erlaubt, "die Reiche, Herzogtümer, Grafschaften, Fürstentümer, Herrschaften, Besitztümer und Güter für sich und seine Nachkommen zu verwenden, zu Eigentum zu machen und in seinen und seiner Nachfolger Gebrauch zu nehmen und Nutzen daraus zu ziehen". Auf dieser Grundlage wurden Schwarze gefangen genommen, als Waren verkauft und in die Sklaverei verschifft. Auf der Berliner Konferenz war Afrika ein leeres Gebiet, per göttlichem Dekret den Europäern gegeben.
Hat sich 125 Jahre später wirklich etwas verändert? Der neue deutsche Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, sagte vor kurzem, Afrika sei der "Vorgarten" Europas. Was hat er damit wohl gemeint? Der französische Außenminister schlug seinen europäischen Amtskollegen erst letzte Woche vor, mit den USA eine Koalition zu bilden, um Chinas Einfluss in Afrika zurückzudrängen. Vielleicht bereitet er ja eine neue Afrika-Konferenz vor? Etwas ist faul in den Republiken Europas.
Nach wie vor hält eine internationale Arbeitsteilung Afrika in wissenschaftlicher und technologischer Abhängigkeit. Die demokratische Verfassung des Kongo aus dem Jahr 2005 wurde an der belgischen Universität Lüttich geschrieben, obwohl der Kongo durchaus über international anerkannte Verfassungsrechtler verfügt. Der Norden, speziell Europa, beansprucht das Monopol auf wissenschaftliche Theorie und den wissenschaftlichen Fortschritt, und Afrikaner sollen die Ergebnisse dann mehr oder weniger geschickt umsetzen. Diese Arbeitsteilung ist Afrika aber nicht nur von außen aufgezwungen. Sie wird von Afrikanern selbst getragen.
Doch allmählich beginnt Afrika, für sich selbst neue Mythen, ein neues Gedächtnis zu erfinden. Wenn Afrika jetzt seine Geschichtsschreibung selbst in die Hand nimmt, muss es aufhören, andere für seine Situation anzuklagen. Afrikas neue Eliten tragen selbst die Verantwortung. Und Afrikas Bevölkerung muss einklagen, dass sie diese auch wahrnehmen.
MUEPU MUAMBA, PAUL INDONGO-IMBANDA