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1.2.2012 taz Nr. 9716 Ausland 165 Zeilen, SIMONE SCHLINDWEIN S. 11
Die ruandische Hutu-Miliz FDLR in Ostkongos Wäldern steht offenbar vor dem Kollaps. Hohe Kommandeure werden gezielt ermordet, die straff organisierte Armee verliert die Kontrolle
AUS GOMA SIMONE SCHLINDWEIN
Das Militärhauptquartier der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Osten Kongos liegt verteilt auf zwei Hügeln nahe des Dorfes Kimua, tief im Dschungel in der Provinz Nord-Kivu. Auf dem Hügel Kabingo lebt FDLR-Militärchef Sylvestre Mudacumura, bislang geschützt von zwei Ringen der Reservebrigade. Auf dem benachbarten Hügel Kalongi haust Vizemilitärchef Stanislas Nzeyimana alias Bigaruka. Versteckt zwischen gewaltigen Bäumen stehen Hütten für die Kommandeure. Das Waffendepot, die Kirche sowie die Militärschule liegen abseits.
Fast zehn Jahre lang hat sich General Mudacumura dort wohl gefühlt. Er hat sich einen Bauch zugelegt, er gilt als Alkoholiker. Dass in Sichtweite seines Hügels 80 Blauhelme stationiert sind, schien ihn nicht zu stören.
Damit ist es nun vorbei. Am 27. November nahm die neu formierte kongolesische Miliz FDC (Kräfte zur Verteidigung der Kongolesen) das Dorf Kimua ein. Seitdem sind Mudacumura und seine Kommandeure ihres Lebens nicht mehr sicher. Fotos beweisen: Der Anführer der FDLR-Spionageeinheit CRAP wurde erschossen, als er eine Brücke überqueren wollte. Seine Leiche zogen UN-Blauhelme später aus dem Fluss. Seitdem desertieren immer mehr Offiziere. Fast täglich fliegt die UN-Mission Exrebellen aus Kimua aus und bringt sie in ihre Heimat Ruanda.
Einer davon ist Joseph Tuziyaremye. Der 44-jährige Hauptmann diente 13 Jahre lang in Mudacumuras Büro. Jetzt hat er sein Bündel mit Habseligkeiten über die Grenze geschleppt. „Die Lage im Hauptquartier ist miserabel, ich will dort nicht krepieren“, seufzt er. Der Grund: Vor zwei Wochen schlichen sich nachts unbekannte Gestalten ins Hauptquartier. Sie umzingelten die Hütte des FDLR-Stabschefs Leodmir Mugaragu, des dritthöchsten Kommandanten der Miliz, erdrosselten die beiden Leibwächter und schossen gezielt hinein. „Dann setzten sie die Hütte in Brand“, erzählt Tuziyaremye: „Als ich mich näherte, waren die Angreifer verschwunden.“ Aber Mugaragu war tot.
Diese Attacke zeige, so der Hauptmann, „wie schlecht es um uns bestellt ist“. Die Verteidigungsringe seien „löchrig“ geworden, „weil so viele unsere Kämpfer geflohen sind“.
Ein weiteres Problem sei die Versorgung. Bislang garantierte ein gutes Verhältnis mit den Kongolesen den Nachschub. Die FDLR kaufte auf dem Markt Lebensmittel und das von Mudacumura so begehrte Bananenbier. Doch seitdem die FDC in Kimua stehe, sei das vorbei. „Bald wird Hunger im Hauptquartier einsetzen“, sagt Tuziyaremye und warnt: „Wenn Mudacumura kein Bier bekommt, wird er wütend.“
Der Mord an Stabschef Mugaragu war nicht der erste an einem hohen Kommandanten. Im November wurde Oberst Sadiki, Anführer des Bataillons Montana, vom lokalen Milizenführer Cheka erschossen. Anfang Januar wurde Oberstleutnant Honoré Furaha in Rutshuru von seinem eigenen Leibwächter ermordet. Deserteure melden drei weitere getötete Offiziere. „Wir haben nun Probleme, die Kommandeursposten zu besetzen“, gibt Hauptmann Tuziyaremye zu.
Die politische Führung der FDLR unter Übergangspräsident Gaston Iyamuremye alias Rumuli, der das Amt nach der Verhaftung des FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka in Deutschland übernahm, hat ihr Hauptquartier beim Dorf Ntoto, einen Tag Fußmarsch von Kimua entfernt. Am Weihnachtsfeiertag griff die FDC auch Ntoto an. Sie erwischte die Miliz auf dem Markt. Die FDLR rannte davon. Doch gelang es ihr am 5. Januar, Ntoto zurückzuerobern.
Aus verschiedenen Quellen hört man, Ruandas Geheimdienst stecke hinter den jüngsten Angriffen auf die FDLR. Die Zeit der Verhandlungen sei vorbei, sagt ein ruandischer Beobachter. Letztes Jahr hatten sich knapp ein Dutzend Kommandeure aus der FDLR herausverhandelt. Sie bekamen von Kigali Jobs angeboten, woraufhin sie desertierten. So kam der Exvize der FDLR-Militärpolizei in die UN-Friedenstruppe in Darfur.
Die UN-Mission im Kongo schätzt die noch übrigen FDLR-Kämpfer jetzt auf „weniger als 2.000“, von knapp 20.000 ursprünglich. 17 Jahre nachdem die Täter des Völkermordes in Ruanda 1994 in den Kongo flohen und sich dort neu formierten, steht ihre Miliz vor dem Aus.