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3.12.2012 taz Nr. 9972 Ausland 137 Zeilen, SIMONE SCHLINDWEIN S. 11
Nach dem Abzug der Rebellen herrscht in der ostkongolesischen Stadt Goma eine unsichere Ruhe. Nur rund 300 Polizisten sorgen für ein wenig Ordnung und Sicherheit
AUS GOMA SIMONE SCHLINDWEIN
Der Stahlhelm ist viel zu groß für seinen Kopf. In den Händen hält der achtjährige Benjamin fünf große Gewehrpatronen, alle länger als seine kleinen Finger. Hinter ihm durchwühlen seine Freunde ein Militärzelt voller Munition, Granaten und verrosteter Kalaschnikows. Lediglich knapp 300 Polizisten patrouillieren die Straßen, bewachen die Grenze und die Zentralbank. In den restlichen Stadtteilen kann jetzt jeder machen, was er will.
Bereits kurz nachdem die Rebellen der M23-Bewegung am Freitag aus Ostkongos Provinzhauptstadt Goma abgezogen waren, stürmten Kinder und Jugendliche die Militärbaracken rund um das Nord-Kivu-Hauptquartier der Armee. Elf Tage lang hatten sich hier die Rebellenkämpfer einquartiert. Jetzt sind die Munitionsdepots Spielplatz barfüßiger Kinder, die auf den kaputten Kanonenrohren herumturnen.
Die Militärbaracken sind ein Sinnbild für den Zustand des Ostkongos: Dicht an dicht reihen sich die schiefen Zelte, in welchen die 1.200 Soldaten des in Goma stationierten Regiments mit ihren Kindern und Frauen hausten. Die Lebensbedingungen sind schlimmer als in den nahen Flüchtlingslagern. In den staubigen Gassen liegen Essensreste, benutzte Kondome, geschmolzene Plastikflaschen. Es stinkt nach Fäkalien. Meterhohe Marihuanapflanzen wachsen zwischen den Zelten, verbreiten einen süßlichen Geruch. Eine dürre Frau humpelt barfuß durch den Dreck, die Witwe eines Soldaten. Sie wohnt in einem der Zelte mit ihren zehn Kindern: „Die Rebellen haben meine Schuhe und Kleider geklaut“, klagt sie und zeigt auf ihre nackten Füße, deren Nägel bunt angemalt sind.
Schnell sammeln sich Frauen und junge Mädchen auf den Straßen: Es sind die Ehefrauen der kongolesischen Regierungssoldaten. Delphine Tchibalona trägt ein zehn Tage altes Baby auf dem Arm. Sie hat es während den Gefechten in Gomas Stadtzentrum zur Welt gebracht. „Es wurde geschossen, als ich in den Wehen im Militärkrankenhaus lag“, erzählt sie. Ihr Mann sei an die Front geschickt worden. „Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört“, klagt sie. Der Sold sei seit Monaten nicht ausgezahlt worden, die Rebellen hätten ihr Telefon geklaut. „Wir leben im totalen Elend“, jammert sie.
Das sonst so geschäftige Stadtzentrum Gomas wirkt nach dem Abzug der Rebellen wie ausgestorben. Die Leute verbarrikadieren sich zu Hause. Niemand traut sich nach Einbruch der Dunkelheit nach draußen: Es gibt Gerüchte, die Rebellen seien nicht alle abgezogen, einige würden sich noch in ziviler Kleidung in der Stadt verstecken. Es geht auch die Angst um, dass jetzt Banditen und Verbrecher, die während der Kämpfe aus dem Gefängnis getürmt waren, die Gelegenheit wahrnehmen, zu plündern.
Polizisten patrouillieren nach Einbruch der Dunkelheit mit Pick-up-Trucks die verwaisten Straßen Gomas. Sie sind hochgerüstet, einige tragen sogar Granatwerfer. Sie sind aus der Nachbarprovinz Süd-Kivu per Boot über den Kivusee gekommen. „Es ist relativ ruhig, wir haben bislang nur vier Banditen verhaftet“, sagt der Polizeikommandeur der taz.
Die UNO-Blauhelme fahren in Schrittgeschwindigkeit mit Panzern durch die Innenstadt. An den zahlreichen Kreisverkehren und Straßenkreuzungen sind gepanzerte Fahrzeuge stationiert. Blauhelmsoldaten hocken auf deren Dächern neben den Kanonenrohren. Ein UN-Hubschrauber kreist im Tiefflug über den Dächern und fliegt die Grenze zu Ruanda entlang.
Nur in Gomas berühmtestem Nachtklub steigt jetzt endlich wieder die Party: Die Rap-Musik voll aufgedreht, tanzen Dutzende Journalisten und Mitarbeiter von NGOs. Dutzende kongolesische Prostituierte in knappen Röcken mischen sich unter die betrunkenen Ausländer. UN-Mitarbeiter ignorieren die Ausgangssperre – alle wollen den Stress und die Anspannung der vergangenen zwölf Tage vergessen. Doch in Goma herrscht Ausnahmezustand.