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Am 8.8.2000 findet in Lubumbashi, Hauptstadt der Provinz Katanga, die Eröffnungssitzung der von L.-D.Kabila Anfang Juli 2000 eigenmächtig nominierten "Konstituierenden und Legislativen (verfassungs- und gesetzgebende) Versammlung" statt. Eine Eröffnungssitzung, die ursprünglich für den 25.7.2000 vorgesehen war, aber wahrscheinlich aus logistischen und auf mangelnde Infrastrukturen zurückzuführenden Gründen verschoben wurde. In einem parlamentarisch-demokratischen System ist die Eröffnungsitzung eines Parlaments ein alltägliches Ereignis. Aber im Falle der Demokratischen Republik Kongo ist sie aus verschiedenen Gründen mit einem ungewohnten Charakter behaftet.
Die durch anhaltende Gerüchte über die "Delokalisierung" einiger staatlicher Institutionen hervorgerufene Unklarheit wurde inzwischen beseitigt, Unklarheit, die auf die Nomination der Stadt Lubumbashi als Ort der ersten Sitzung der "Konstituierenden und Legislativen Versammlung" zurückgeht. Per Präsidialdekret wurde Lubumbashi ab sofort Sitz des "Parlaments" zuungunsten der Hauptstadt Kinshasa, die bisher als legaler und historischer Sitz der republikanischen Institutionen diente und weiter Regierungssitz bleibt. Gleichzeitig wurde die von den Rebellen kontrollierte Stadt Kisangani zum Sitz des obersten Gerichtshofes deklariert. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, daß es sich hier um eine Entscheidung handelt, die allein von Präsident L-D. Kabila ohne Zustimmung des kongolesischen Volkes getroffen wurde. In einer Zeit, in der sich das Land gegen einen Ausnutzungskrieg wehren muß, wird diese Innovation, die in der Tat keine ist, zusätzliche Kosten verursachen und auf Umwegen das kongolesische Volk zu noch mehr Opfern verpflichten. Und dies, abgesehen davon, daß das kongolesische Volk immer ärmer wird und dessen immer unerträglicher werdendes Elend vergrößert wird durch diejenigen, die immer wieder betonen, die Verbesserung der Lebensverhältnisse anzustreben. Einige werden wohl die Wahl Lubumbashis und anderer Städte als Sitze einiger staatlicher Institutionen als Wille der Regierung zur "Dezentralisierung" der staatlichen Gewalt interpretieren. Denen kann ich nur entgegnen, daß ein solcher Schritt gut überlegt werden soll und "Dezentralisierung" nicht mit "Delokalisierung" gleichgesetzt werden kann. Denn: "Dezentralisierung" bedeutet den "autonomen regionalen Institutionenn mehr Entscheidungs- und Verwaltungsgewalt" zur Verfügung zu stellen, während "Delokalisierung" die Ortsveränderung der Sitze der staatlichen Institutionen (Regierung, Parlament, oberste Gerichtsbarkeit...) ist. In Anbetracht der anhaltenden Krise und angesichts der fehlenden adäquaten Infrastrukturen und der faktischen Teilung des Landes in 4 Machtzentren ist der Transfer der staatlichen Institutionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein überflüssiger Luxus.
Es muß gesagt werden, daß die "Wahl" der Mitglieder der "Konstituierenden und Legislativen Versammlung" durch Benennug durch Dekret einzigartig und unbillig ist. Diese "demokratizide" Vorgehensweise hat die Wähler frustriert, denen auf Grund dieser Tatsache das Recht zur Wahl ihrer Vertreter ins Parlament entzogen wurde. Dies hat zur Folge, daß die Basisgesellschaften sich nicht in der "Konstituierenden und Legislativen Versammlung" wiederfinden.
Ohne hier auf Details einzugehen und vor allem auf die zum Ausdruck gebrachte Kritik der Bedingungen (Despotismus, Clanismus), die der "Wahl der Deputierten" zugrunde lagen, zu insistieren, geht aus der Lektüre der Liste der letzteren hervor, daß es sich hier um ein "Parlament" handelt, von dem die Vertreter eines Großteils der Bevölkerung ausgeschlossen sind. Wobei hinzuzufügen ist, daß dieser Großteil der Bevölkerung der Regierung Kabilas von Anfang an kritisch gegenübersteht. Wie die immer wieder erhobenen Einsprüche gegen die Zusammensetzung der "Konstituierenden und Legislativen Versammlung" genügend belegen, betreffen diese völlig vergessene Territoires (Landkreise) und die Marginalisierung einiger Gebiete, die demographisch besser bestellt sind.
Überdies wirft die Ernennung von "nicht-Deputierten" in den Vorstand der "Konstituierenden und Legislativen Versammlung" eine Frage auf, nämlich die der Legitimität und des Geistes der parlamentarischen Unabhängigkeit der ernannten Versammlung von der Exekutive. Aber wie den letzten Meldungen zu entnehmen ist, wurde dieser dem parlamentarischen Brauch entgegenstehende Fehler korrigiert, indem die Vorstandsmitglieder, die der "Konstituierenden und Legislativen Versammlung" nicht angehören, per Dekret zuungunsten anderer vorher ernannter "Deputierter" der ersten Runde ins "Parlament" aufgenommen wurden. Dabei wurden die Mandate der letzteren für null und nichtig erklärt.
Die von Präsident Kabila gewählte Gangart, die Mitglieder der "Konstituierenden und Legislativen Versammlung" per Dekret zu ernennen, stellt sich als Hinderung für die Umsetzung des Abkommens von Lusaka dar und richtet sich zugleich gegen den interkongolesischen Dialog, der die Beendigung des ungerechten Krieges und die Herstellung einer neuen politischen Ordnung in der Demokratischen Republik Kongo zum Ziel hat.
Die einzige Stetigkeit der Geschichte ist der Wandel, und die Ereignisse in ihrer Turbulenz bestehen immer aus beweglichen Szenen. Dies zu ignorieren, bedeutet stromaufwärts in einer in Bewegung befindlichen Welt zu steuern, in der die Menschenrechte und die Demokratie zu den Grundwerten zählen und sich durch die spektakuläre Geschwindigkeit in Verlegenheit zu bringen, mit der sich die Ereignisse quer durch die Welt in der letzten Zeit drängeln. Unter "Wandel" verstehe ich den Verzicht auf die auf parteipolitischen Egoismus zurückzuführenden Streitigkeiten und die Definition der auf einem Konsens fußenden Lösungen. Mit anderen Worten, es ist an der Zeit, daß sich Präsident Kabila den Kräften öffnet, die sich um die Beendigung des Krieges im Kongo und um Mittel und Wege zur Verwaltung der Nachkriegszeit bemühen.
Berlin, 30.7.2000