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Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechens,
Adam Hochschild, Stuttgart: Klett-Cotta 2000. 494 Seiten, 49,80 DM.
(Originalausgabe: King Léopold's Ghost. A Story of Greed,
Terror and Heroism in Colonial Africa, Boston/NY 1998)
Der düstere deutsche Titel des vorliegenden Buches soll wohl an Josef Conrads "Herz der Finsternis" erinnern. Im amerikanischen Original kommt klarer zum Ausdruck, worum es in diesem Buch eigentlich geht ("King Leopold's Ghost"). Die frühe Kolonialgeschichte, die Zeit des sogenannten Kongo Freistaats (1885-1908) im Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II, reiht sich nahtlos in die Geschichte der Völkermorde des zwanzigsten und späten neunzehnten Jahrhunderts ein. Adam Hochschils, Publizist und Dozent an der "Graduate School of Journalism" der University of California (Berkeley), hat die Literatur zu diesem wenig bekannten Grauen gründlich studiert. Das Buch ist zwar fast 500 Seten lang, doch es ist eine von der ersten bis zur letzten Seite spannende Lektüre. Beeindruckend ist vor allem, wie sich Hochschild in die individuelle Psychologie seiner Charaktere hineinlebt.
Skrupellose Mörder, Militärs, Gouverneure, der Entdeckungsreisende Henry Morton Stanley, aber auch mutige Kämpfer gegen den grausamen Vernichtungsfeldzug gegen die Schwarzen wie E. D. Morel oder William Sheppard werden in Hochschilds Darstellung lebendig. Die frühe Kolonialgeschichte des Kongo ist nicht nur eine Geschichte der Täter, sondern auch eine Darstellung der erfolgreichen Frühgeschichte von Nichtregierungsorganisationen auf dem Gebiet der Menschenrechte. Die von E. D. Morel initiierte "Congo Reform Association" trug maßgeblich zur Aufdeckung der massiven Verletzung der Menschenrechte im Kongo und zu der Umwandlung des königlichen Privatbesitzes in eine belgische Kolonie bei.
Hochschild ist kein Historiker, sondern Publizist, der auch schon eine Darstellung über Josef Stalins Gulag geschrieben hat. Die Geschichte des Kongo ist nicht weniger tragisch. Die meisten Quellen zur frühen Kolonialgeschichte des Kongo sind allerdings 1908 vernichtet worden, als die Kolonie nach einer offiziellen belgischen Untersuchung aus dem Privatbesitz des Königs (der nie einen Fuß auf kongolesischen Boden gesetzt hat) an den Belgischen Staat kam. Trotzdem ist in den letzten Jahren im wissenschaftlichen Bereich vieles an Informationen wieder ans Tageslicht gekommen, vor allem durch die Untersuchung von Jules Marchal, die Hochschild genau studiert hat.
Die Bevölkerung des Kongo wurde seit dem Aufbau von Handelsstationen am Kongofluß in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts rücksichtslos zu kaum kaschierter Zwangsarbeit herangezogen. Dabei ging es vor allem um die Gewinnung von Kautschuk und Elfenbein, sowie um den Bau und die Unterhaltung von Verkehrswegen in dem riesigen Territorium, dessen Fläche und Bevölkerung das Mutterland um ein vielfaches überstieg. Zur Zwangsverpflichtung von Arbeitskräften waren den Vorständen der Handelsstationen, die in ihren Regionen wie absolute Herrscher regierten, beinahe jedes Mittel recht. Die härtesten Körperstrafen, Geiselnahme und Mord zur Abschreckung waren gerade recht, um die größtmögliche Ausbeute an exportierbarem Material herauszuschlagen.
1924, bei der ersten Volkszählung, lebten im Kongo etwas über 10 Mio. Menschen. Es wird vermutet, daß die Bevölkerung seit dem Beginn der belgischen Kolonisierung (1885) um die Hälfte reduziert worden war.
Das Massensterben und die Entvölkerung ganzer Landstriche hatte, wie Hochschild eindringlich vorführt, vor allem vier Gründe: 1. Mord. Nicht ordnungsgemäße Lieferung von Materialien oder der Verdacht von Widerstand wurde in der Regel mit Mord beantwortet. Zu diesem Zweck wurde eine Armee von zwangsverpflichteten Einheimischen (mit belgischen Offizieren) aufgebaut. 2. Verhungern, Erschöpfung, Obdachlosigkeit. Die Zwangsverpflichtung großer Teile der Bevölkerung hatte gravierende Folgen, u.a. für die Nahrungsmittelsituation. 3. Krankheit. Während die Kolonialbeamten schwer mit der Malaria zu kämpfen hatten, fiel die einheimische Bevölkerung eingeschleppten Krankheiten zum Opfer (u.a. Pocken, Schlafkrankheit). 4. Fallende Geburtsrate. Die allgemeine Erschöpfung führte zu einer drastischen Verminderung der Zahl der Schwangerschaften.
Das zentrale Werkzeug zur Disziplinierung der Bevölkerung war die Chicotte, eine Peitsche aus getrockneter Nilpferdhaut. Auspeitschungen waren in der Regel öffentlich und konnten bei der Beschaffenheit der Peitsche zu Bewußtlosigkeit und Tod führen: "...so kam es, daß Männer, die entsetzt gewesen wären, wenn jemand eine "chicotte' in den Straßen von Brüssel, Paris oder Stockholm benutzt hätte, ein solches Tun in dieser ganz anderen Umgebung als normal ansahen. Ein entferntes Echo dieser Denkweise ist ... ein halbes Jahrhundert später in der Äußerung von Franz Stangl über die Massentötungen in den Todeslagern von Sobibor und Treblinka zu der Zeit, als er dort Lagerkommandant war, zu vernehmen: "Um die Wahrheit zu sagen, (...) ja, man gewöhnte sich daran.'" (S.175)
Interessant sind die Schlußbemerkungen Hochschilds, die den Bogen zu den postkolonialen Problemen des Kongo schlagen. Für einmal sieht er den langjährigen Diktator Mobutu darin auf der Seite der Besiegten: "Abgesehen von seiner Hautfarbe gab es weniges, worin er dem Monarchen, der dasselbe Land 100 Jahre zuvor beherrschte, nicht ähnelte.... "Die Besiegten', so schrieb der Philosoph Ibn Khaldun im 14. Jahrhundert, "möchten stets den Sieger in seinen hervorstechenden Merkmalen imitieren, in seiner Kleidung, seinem Beruf und in allen seinen anderen Lebensbedingungen und Bräuchen.' Mobutus luxuriöse Villa des Mare in Roquebrune-Cap-Martin an der französischen Riviera, ein säulengeschmücktes Schloß aus weißem und rosa Marmor mit allen Schikanen ... lag nicht einmal 20 Kilometer von Leopolds ehemaligen Besitzungen am Cap Ferrat entfernt. Vom einen Kap aus kann man das andere sehen. (S.427)
Heinz Werner Wessler
Berlin, 6.11.2000