archiv.kongo-kinshasa.de ist eine Informationssite über die Demokratische Republik Kongo: Neben Seiten über das Land im allgemeinen und ein paar Fotos gibt es auch aktuelle Nachrichten und eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten aus unterschiedlichen Quellen.
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Vorletzte Woche lief das Telefon innerhalb der kongolesischen, sogar afrikanischen, "Community" - neudeutsch ausgedrückt - in Berlin heiß. Jeder hat versucht, jeden zu erreichen, um mitzuteilen, daß am Mittwoch, den 1. 11. 2000, aus der Reihe "politische Morde" der ARD ein Film über die Ermordung Lumumbas, des ersten kongolesischen Ministerpräsidenten, gezeigt wird. Schließlich war Lumumba, dessen Ermordung sich auf ewig in das kollektive Gedächtnis der Völkergemeinschaft als eines der scheußlichsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts eingebrannt hat, nicht nur der Hoffnungsträger der Generation unmittelbar vor und nach den Unabhängigkeiten Afrikas, sondern er ist ein Idol vieler Afrikaner - ungeachtet ihres Alters.
Programmiert um 23:30 Uhr wurde der Film erst gegen 0:30 Uhr ausgestrahlt. "König Fußball" hatte das Vorrecht.
Zu Wort kamen die damals vor Ort, in der Republik Kongo - so wird das Land damals bei der Erlangung seiner Unabhängigkeit genannt, agierenden kongolesischen und nichtkongolesischen Akteure. Wir wissen jedoch seit dem Erscheinen des vom belgischen Soziologen Ludo de Witte veröffentlichten Buches "L'Assassinat de Lumumba" (Editions Karthala, Paris:1999), daß die Planer bzw. Auftraggeber der Ermordung Lumumbas in Brüssel ("Operation Barracuda") und Washington - von wo die Initiative ausging, Lumumba zu vergiften -, saßen. Als ihre direkten Handlanger dienten der CIA-Resident in Kinshasa, Larry Devlin, und der nach dem Kongo abkommandierte belgische Offizier des Geheimdienstes, Louis Marlière. Beide hielten, wie sie sich gegenseitig im Film beschreiben, viel voneinander, aber für Lumumba hatten sie wenig übrig.
An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß die Kontroverse, die das o. g. Buch hervorrief, zur Konstituierung einer parlamentarischen Kommission zur Aufklärung der Ermordung Lumumbas in Belgien geführt hatten, Kommission, deren Arbeit leider schleppend verläuft.
Eingangs erfahren wir von einem in Elisabethville damals tätigen Polizeioffizier, der dem toten Lumumba zwei Vorderzähne mit Gewalt herausgebrochen - man nennt dies "Leichenfledderei" - und zu unserem Entsetzen fast 40 Jahre aufbewahrt hatte, wie er und sein Komplize die Leichen Lumumbas und seiner Leidensgenossen weggeschafft hatten: Die Leichen wurden in kleine Stücke geschnitten, die Teile in Säure geworfen und die Reste verbrannt. Am Ende des Films macht der gleiche Polizeioffizier sich lustig über die "Schwarzen", die glauben, daß Lumumba zurückkehren wird. Er fügte hinzu, er werde zurückkommen, aber ohne seine Vorderzähne.
Die Gründe für die Eliminierung Lumumbas - Inbegriff neokolonialer Brutalität - sind zweierlei: Zum einen seine berühmt gewordene "Überraschungsrede", in der er dem belgischen König, der bei den Feierlichkeiten zur Entlassung Kongos in die Unabhängigkeit seinem königlichen Vorfahren Léopold II eine Lobpreisung angedeihen ließ, widersprach. Lumumbas Freund, der Belgier Jean van Lierde ergänzt: Er wurde ermordet nicht nur deswegen, sondern weil er Patrice Lumumba war. Zum anderen hatten die Regierungen der USA und Belgiens ihn von Anfang an als gefährlichen, linken Unruhestifter eingestuft, dessen Vision über die Zukunft Kongos der von Belgien, Amerika und der ganzen westlichen Welt nicht entsprach. Originalton: "Lumumba war gefährlich für uns, in dem Sinne, daß er manchmal nicht empfänglich war für die Lösungen, wie wir sie gern realisiert hätten". So wurde Lumumba vorgeworfen, Kommunist zu sein.
Lumumba wurde nicht müde, die Frage, ob er Kommunist sei, zu verneinen. Er bezeichnet sich als ein "national gesinnter Führer", der die Unabhängigkeit seines Landes fordert, für dessen Befreiung von der Kolonialmacht kämpft und für die Idee einer belgisch-kongolesischen Zusammenarbeit zum Wohle der Völker beider Länder plädiert.
En passant erfahren wir von dem CIA-Repräsentanten in Kinshasa, daß Lumumba die amerikanische Regierung um militärische Hilfe bat, um die belgischen Truppen, die einige Tage nach der Unabhängigkeit das Land besetzten, hinauszuwerfen. Auf dem Höhepunkt des kalten Krieges bittet ein Kommunist Amerika um Hilfe... Ist es nicht surrealistisch? Aber die amerikanische Seite riet ihm, bei der UNO diesbezüglich anzufragen. Dies tat Lumumba, und die Folgen sind bekannt.
Die Rolle der UNO, die Lumumba Schutz und vieles verweigert hatte, und ihres Generalsekretärs in der Kongo-Krise und in der Ermordung Lumumbas bleibt umstritten. Wie die übernächste Folge der Serie "politische Morde" über den Abschuß der Maschine von Dag Hammarskjöld belegt, gab es im Kongo verschiedene Interessen, für deren Realisierung Lumumba als Hinderungsgrund galt.
Die Interventionen der kongolesischen Handlanger bleibt erbärmlich. Denen fehlt jegliches Bewußtsein, das ein emanzipiertes Volk charakterisiert. Vor der internationalen Presse, die er eingeladen hatte, ließ Mobutu seine Soldateska Lumumba, der ihm bei seiner Karriere behilflich war, foltern. Jean-Baptiste Kibwe, Finanzminister in Tshombes Kabinett, schildert das Geschehen um Lumumba und seine Leidensgenossen ohne jegliche Emotion. Victor Nendaka, ehemaliges MNC-Mitglied und gefürchteter Chef des kongolesischen Sicherheitsdienstes, der am Flughafen von Brüssel Lumumba umarmend zu sehen ist, der verspätet zu den "Runden-Tisch-Gesprächen" zur Unabhängigkeit Kongos kam, beschränkt seine Rolle in diesem politischen Melodram auf die Begleitung Lumumbas von Thysville nach Moanda - wohl wissend, daß die weitere Reise Lumumbas und seiner Leidensgenossen nach Elisabethville zu ihren Schergen und Mördern führen wird.
Beeindruckt haben die Auftritte beider Kinder Lumumbas: Julienne, Kulturministerin in Kabilas Regierung, und Roland, der letzte Sohn Lumumbas. Auf der Suche nach einer Erklärung der Brutalität, der ihr Vater ausgesetzt war, zeigen sie weder Haß- noch Rachegefühle. Sie interpretieren die Ermordung ihres Vaters als Opferung, die notwendig für die Freiheit und Unabhängigkeit Kongos war. In der Tat besiegelte die Ermordung Lumumbas das Ende der parlamentarischen Demokratie im Kongo und bedeutet zugleich die Institutionalisierung einer Militärdiktatur im Land und den Anfangspunkt des "kongolesischen Übels", dessen Folgen bis heute zu spüren sind.
Über die Beweggründe Tshombes, Munongos und Mobutus hätte man gern mehr erfahren, aber leider sind sie tot und konnten nicht mehr zu Wort kommen.
40 Jahre nach der Ermordung Lumumbas bringen die im Film befragten Akteure keine Reue zum Ausdruck. Folglich ist zu fragen, ob Lumumba für sie als Mensch galt. Wahr ist, daß seine physische Eliminierung als Mittel zum Zweck der Realisierung der Interessen ihrer Länder im Kongo diente: das Weiterleben der abhängigen Beziehungen und die Ausbeutung Kongos und seiner Ressourcen durch ihre Länder.
Bei einem Treffen der kongolesischen Gemeinde Berlins, einige Tage später, wurde immer wieder die Frage gestellt, weshalb politische Morde, wie der Lumumbas, nicht genauso wie Genozide auf internationaler Ebene gehandelt werden.
Die Geschichte der Kolonisierung Kongos ist eine Geschichte der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Adam Hochschild spricht in seinem Buch "Schatten über dem Kongo" (Klett-Kotta, 2000), von einem der "großen Massenmorde der jüngeren Geschichte" - eine Buchbesprechung finden Sie auch auf diesen Internetseiten. Wird die internationale Gemeinschaft, in Anlehnung an die Resolution des französischen Senats, der zufolge die Ermordung des armenischen Volkes in der Türkei als Genozid anerkannt wurde, auch das Schreckensherrschaft Léopold II als Völkermord anerkennen?
Der Film ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zur Klärung der Verantwortung für die Ermordung Lumumbas und für das Schicksal des Landes. Beachtlich ist die schonungslose Aufklärung von Fehlentscheidungen und Koordinierungsproblemen der UNO.
Berlin, 13.11.2000