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Am 28. April fand in Bonn eine von Pax Christi veranstaltete internationale Tagung mit dem Thema: "Hoffnungsloses Zentralafrika? Der 'Erste Weltkrieg Afrikas' und was wir dagegen tun können" statt. Hier das für die Podiumsdiskussion geplante Statement von Iseewanga Indongo-Imbanda, das aus Zeitgründen entfallen mußte.
Die Tragödie der afrikanischen Region der Großen Seen nimmt immer noch einen bevorzugten Platz im Medienspektakel ein. Der Exotismus und die Verlockung des "Sensationellen" verdecken dabei oft den universalen - ich meine den globalen - Charakter der Dramen, die sich dort abspielen. Zu oft treten Stammesklischees an die Stelle der Reflexion. Man darf jedoch nicht vergessen, daß die Gewalttätigkeiten, die allzu schnell als "traditionelle ethnische Konflikte" bezeichnet werden, durch den Import rassistischer Ideologien genährt werden, die direkt mit jenen Ideen verknüpft sind, die Europa in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Schutt und Asche legten. Diese Ideen erscheinen hier manipuliert durch eine städtische Elite, die ungeachtet ihrer "ethnischen" Zugehörigkeit darauf bedacht ist, die Macht an sich zu reißen oder zu erhalten.
An dieser Stelle möchte ich behaupten, daß der zur Zeit in der Region der Großen Seen zu beobachtende Konflikt den Beweis dafür liefert, daß die Region auf der Suche nach Mitteln und Wegen ist, die zur Entwicklung führen können. Hat nicht bereits der Agressionskrieg in der DRKongo den Willen des kongolesischen Volkes zur Einheit des Landes genügend gezeigt?
Gleichzeitig aber beobachtet man, daß Zentralafrika gegenwärtig zwischen Hoffnung auf Neuanfang und immer evidenter werdenden Gefühlen der Aussichtslosigkeit balanciert.
Mit "Hoffnung auf Neuanfang" meine ich den dort zu beobachtenden Versuch zu Demokratisierung und Liberalisierung, Demokratisierung und Liberalisierung, die als Folge der 1989/90 im zentralen und östlichen Europa stattgefundenen Ereignisse interpretiert werden. Ohne hierbei den beschleunigenden Einfluß des durch das Ende des "Kalten Krieges" neu geschaffenen internationalen Klimas und der Implosion der Sowjetunion auf den Demokratisierungsversuch in Afrika im allgemeinen und in Zentralafrika im besonderen zu minimieren, bin ich der Meinung, daß der "Kalte Krieg" in der Tat den afrikanischen Diktatoren - protegiert oder toleriert durch die westlichen Mächte, die sie benutzten, um der Sowjetunion Hindernisse in den Weg zu legen, oder durch letztere (Sowjetunion), um dem Imperialismus entgegenzutreten - ermöglicht hatte, die Macht zu erhalten. Hinzu kommt, daß die Anpassung der Ökonomien der afrikanischen Länder an die externen Zwänge der wesentliche Grund für die Legitimationskrise vieler afrikanischer Systeme (militärische und zivile) in der letzten Dekade des letzten Jahrhunderts gewesen ist. Um diese Krise zu lösen und die durch diese Anpassung eingeleiteten Veränderungen zu ihren Gunsten zu bewältigen, sah sich die Macht- bzw. Funktionselite gezwungen, institutionelle Reformen im Sinne der Demokratisierung und der Liberalisierung des politischen Lebens zu initiieren.
Das Mehrparteiensystem wurde in vielen Ländern akzeptiert, wenn nicht in der Praxis, zumindest in der Theorie. Die Autokraten wurden hier und da marginalisiert, auch wenn bis jetzt echter Wechsel nur in einigen raren Fällen stattgefunden hat. Dagegen wurden eine eindrucksvolle Anzahl von Freiräumen eröffnet, in denen die Meinungsfreiheit herrscht, und viele NGOs ins Leben gerufen (Menschenrechtsorganisationen, freie Gewerkschaften, Studentenverbände u.v.a.). In noch unveröffentlichter Form ist eine wahre Sozialmacht im Begriff, sich wieder zu behaupten, während die Zivilgesellschaften nach und nach gegründet werden und sich institutionalisieren - eigentlich manchmal am Rand des Staatsfeldes oder außerhalb des Einflusses der postkolonialen Bürokratien: in jedem Fall in heterogener Weise. Im gleichen Atemzug ist dennoch zu bemerken, daß der Multipartismus und der Pluralismus der Presse an sich nicht bedeutet, daß eine demokratische Macht ausgeübt wird.
Was Zentralafrika anbetrifft, kann gesagt werden, daß dort zur Zeit weder Alternancen noch ein spektakulärer Demokratievorsprung zu beobachten ist. Man kann aber behaupten, daß die Wahlen pluralistisch und parademokratisch sind. In Bezug auf die Länder, die für die Demokratie kämpfen, kann man feststellen, daß sie unglücklich, aber nicht hoffnungslos sind.
Mit "Hoffnung auf Neuanfang" meine ich auch die Bemühungen vieler, auch "Sich-selbst-überlassene" genannt, die innerhalb der "traditionellen" oder "populären Ökonomie" oder "der Ökonomie des Kampfes um das Überleben" die Modalitäten zur Beschaffung der Ressourcen für die Gemeinschaft und zur Verteilung des Sozialprodukts erfinden bzw. neu erfinden. Die traditionellen Institutionen, die die Machthaber in der Vergangenheit immer wieder versucht haben, entweder zu zerschlagen oder zu kanalisieren, kommen wieder zum Vorschein. Sie entdecken die Tradition wieder und erzeugen - durch die Zusammenstellung von Altem und Neuem, von Autochthonem und Importiertem -, Gesellschaften, deren Kreativität infolge der damals praktizierten exklusiven Politik der dominierenden Einheitsparteien als verloren galt. Sie nehmen, offener als in der Vergangenheit, die Funktionen der sozialen und politischen Vermittlung wahr. Und dies, in einem Kontext, in dem ein de facto Pluralismus mehr denn je dominant ist. Überall zeigen sich die Konturen einer öffentlichen Sphäre, die sich von derjenigen unterscheidet, die es in den Jahren der Einheitsparteien gegeben hat. Diese öffentliche Sphäre schöpft ihre Formen und Sprachen sowohl aus dem afrikanischen kulturellen Genie als auch aus der kontroversen Begegnung dieses Genies mit der dem Okzident entstammenden Kreativität.
Ich meine "Gefühle der Aussichtslosigkeit" deshalb, weil gemessen an den ursprünglichen Hoffnungen und Erwartungen die Ergebnisse der letzten Jahrzehnte Enttäuschungen ausgelöst haben. Der Einkommensgraben zwischen zentralafrikanischen und Industrieländern ist beispielsweise noch erheblich breiter geworden, und die Lebenschancen für die Masse der Bevölkerung haben sich dort in der Regel unzureichend, teilweise gar nicht verbessert. Und dies, obwohl wir seit Jahren mit einer Vielfalt von Entwicklungsmodellen (Struturanpassungsprogramme, "good gouvernance"...) konfrontiert sind, die den afrikanischen Ländern aufoktroyiert werden. "Aufoktroyiertes Modell" bedeutet, daß es sich hier um ein durch externe Kräfte aufgesetztes Modell, also etwas Fremdes, von außen Gewolltes, den Gegebenheiten des Landes nicht Entsprechendes handelt.
Mit anderen Worten, anstelle der vor 41 Jahren geäußerten und leider nicht in Erfüllung gegangenen Hoffnungen ist die Unfähigkeit der afrikanischen Macht- bzw. Funktionseliten getreten, sich die allgemeinen Staatsfunktionen einer sich selbst tragenden Gesellschaft anzueignen - Unfähigkeit, die ipso facto dazu geführt hat, daß die stark verschuldeten afrikanischen Länder gezwungenerweise alle Bedingungen des IWF und der Weltbank erfüllen müssen, um sich über Wasser zu halten.
Dies veranlaßt mich zu der Aussage, daß solange die neokolonialen Beziehungen vorherrschen, den Ländern Zentralafrikas der Weg zur Stabilität und Entwicklung versperrt bleibt. Wohlgemerkt: Für die neokolonialen Beziehungen ist kennzeichnend, daß die Herausbildung und die Veränderung sozio-ökonomischer, politischer und anderer Strukturen der eigenen Gesellschaft eine Größe sind, die von den Bedürfnissen und Interessen einer anderen Gesellschaft abgeleitet ist. Demzufolge ist die Frage zu stellen, ob die afrikanischen Macht- bzw. Funktionseliten in relativer Autonomie zu den internationalen Systemstrukturen als Agenten autozentrierter Entwicklung fungieren können. Diese Frage drängt sich um so mehr auf, als sich die Erkenntnis seit langem durchgesetzt hat, daß die Entstehung von "modernen" Staatsfunktionen in Afrika auf einer funktionalen Ebene als Ausdruck der gewaltsamen Unterwerfung und Integration in den Weltmarkt zu verstehen ist. Das heißt, die "modernen" Staatsfunktionen in Afrika sind historisch nicht das Resultat eines innergesellschaftlichen Differenzierungsprozesses, sondern exterritoriale Ableger der metropolitanen Staaten.
Die Lösung der jetzigen Krise in der Region der Großen Seen setzt die Demokratisierung der dort herrschenden politischen Systeme voraus. D.h. parallel zum interkongolesischen Dialog sollten auch ein interruandischer, ein interburundischer und ein interugandischer Dialog mit dem Ziel der Involvierung aller politischen und sozialen Kräfte dieser Länder in der Machtausübung einberufen werden. Das bedingt auch, daß die Bevölkerungen in diesen Ländern ihre Geschicke in die eigenen Hände nehmen. Ohne radikal-strukturelle Gesamtveränderungen der aufoktroyierten Modelle in den afrikanischen Ländern und ohne Reformen gemäß ihren Bedürfnissen und Erfordernissen scheint mir die Lösung der unzähligen Probleme sowohl der zentralafrikanischen Länder als auch der übrigen Länder südlich der Sahara kaum möglich.
Berlin, den 05.05.2001