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Vor genau 32 Jahren (4. Juni 1969 - 4. Juni 2001) fielen einige Studenten der Universität Ex-Lovanium (Kinshasa) unter dem Kugelhagel der Soldateska Mobutus. Und dies, nur weil sie bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen gefordert hatten. Aus Anlaß dieses 32. Wiederkehrens und zur Erinnerung an die Gefallenen veröffentlichen wir die folgenden Zeilen. Überdies nehmen wir diese Gelegenheit wahr, um noch einmal zu bekräftigen, daß es keine Alternative zur Demokratie gibt und (es) sich wirklich lohnt, für sie zu kämpfen.
Am Morgen des 4. Juni 1969 marschierten Sie heldenhaft in den Straßen der Hauptstadt. Über Ihren sich mit den Problemen des täglichen Lebens beschäftigenden und kummervollen Köpfen vereinigten düstere Wolken den Himmel und die Erde in eine Art von nichtwahrnehmbarem Nichts. Sie demonstrierten friedlich, der Spur eines auf dem "Stanley-Berg" (in der Sprache der Authentizität "Ngaliema-Berg" genannt) fernliegenden Horizonts folgend. Eine Vielzahl von Kinshasa-Einwohnern, die sich in Ihrer Nähe befanden, ließen sich von selbst durch Ihren Schrei hinreißen: ein Schrei der Unzufriedenheit, der Trostlosigkeit und der Frustration. Die Armee, bekannt durch ihre pflichtwidrige Treue, kesselte Sie ein, stützte sich und galoppierten auf Sie unter der Führung des General-Präsidenten.
Zu bewundern ist derjenige, der aus politischer Überzeugung an diesem Festival der Kugelfeuer teilnahm, als diese Soldatenhorde ihre Waffen auf alle richtete, die sich in der Umgebung bewegten. Sie konnten nicht gegen diese Kugeln kämpfen, die Ihre Herzen steif machten, Ihnen den Magen perforierten und den Hals durchlöcherten, so daß der Kehlkopf und die Bauchspeicheldrüse sichtbar wurden. Sie drehten sich wie eine Wetterfahne, schrien mit letzter Kraft um Ihr Leben und fielen schwerfällig wie ein Stein ins Wasser. Ohne davon zu wissen, was um Sie weiter passierte, lagen Sie da, die Blutflecken gingen bis zum Kragenausschnitt der von den zu Tränen gerührten und neben Ihnen stehenden Menschen getragenen Boubous - Boubous: in den Augen des Volkes ein Zeichen des Elends und der Armut. Die Schüsse fielen wie eine Sintflut, und Ihre tödlich verletzten Körper waren mit blauen Flecken markiert.
Zu bewundern ist derjenige, der aus Solidarität zu Ihnen an diesem Festival der Kugelfeuer teilnahm, als Sie auf den Bauch fielen, sich auf den Rücken drehten, Ihre Körper rot von Blut. Wäre Ihnen eine kurze Wiederauferstehung möglich gewesen, so hätten Sie gefühlt, daß Ihnen eine höllische Feuersglut die Eingeweide vernichtete. Die Schüsse pfiffen um Ihre unschuldigen Köpfe, um Sie dann zu töten. Die Soldaten des General-Präsidenten - die einen von Wutanfall und heftiger Leidenschaft besetzt, die anderen von Emotion befallen - fühlten eine durch diesen unangenehmen Kontakt mit den Opfern verursachte Schande längs ihren Schlagadern widerlich fließen: ein kalter Verrat glänzte in ihren durch dieses entsetzliche Spektakel leer gewordenen Augen. Die Blicke der friedlich Demonstrierenden meidend, richteten die Soldaten des Marschall-Päsidenten ihre Waffen gen Himmel, so daß, als sie feuerten, die Kugeln die Wolken durchbohrten.
Zu bewundern ist derjenige, der gegen die Unterdrückung protestierend an diesem Festival der Kugelfeuer teilnahm, als die Taxifahrer aus Patriotismus Frauen und Männern halfen, diesen Ort des sicheren Todes in aller Eile zu verlassen. Diejenigen, denen die Flucht kurz gelang, wurden vom Tod überholt. Sie fielen, es war das Ende. Sie fühlten sich durch letzte Krämpfe geschüttelt. Man sah schwangere Frauen zusammensacken und die Kinder aufschrecken wie durch einen gewaltigen Orkan verweht. Die infantilen Greise fielen infolge der Emotion, die man sowohl Geistesabschaltung als auch Zerplatzen des Herzens nenne.
Ohne jegliche Form des Bedachtes wurden Sie, wie trockenes Holz, in die Leichenhalle geschleudert. Mit Leichenhügeln waren die Krankenhäuser übervoll. Sie waren zusammengepfercht, übereinandergelegt. Ihren Verwandten, Freunden und Bekannten wurden sanfte Wörter eingeredet: Wörter, die man nach einem umstürzenden und traurigen Ereignis predigt. Der Weg Ihrer Leichen ist der Anlaß vieler Legenden. Es zirkulierten unzählige nicht-verifizierbare Gerüchte über Ihr Begräbnis. Man sagt, der General-Präsident habe befohlen, daß man Sie in mit großen Steinen gefüllte Säcke hineinstecke und Sie in die Stromschnellen des Kongo-Flusses hineinwerfe. Man sagt auch, der General-Präsident hätte Ihr Fleisch gegessen und ließ Ihre Schädel zu Champagner-Kelchen umfunktionieren. Man sagt schließlich, Ihre Körper wurden kondensiert und in ein gemeinsames Loch hinabgestürzt. Aber von dem Vorhergehenden ist wahr und bekannt, daß Ihren leidgeprüften Eltern nicht erlaubt war, Ihre Überreste zu sich zu nehmen oder an Ihrem Begräbnis teilzunehmen. Sie wurden, ohne rituelle Feierlichkeit und ohne Blumengruß, ins Jenseits befördert. Mit unsauberen Lendenschürzen bekleidet, wurden sie begraben.
Das Wohl, das Glück und die Gerechtigkeit der Menschen sind würdevolle Ideale, deren historische Bedeutung von niemandem geleugnet wird. Aber sie sind immer das geblieben, was dem von Pierre Teilhard de Chardin gepriesenen Endpunkt ("point-omega" ) ähnlich ist und was wir vielleicht erst am Ende der Zeit, am Ende der Welt erreichen werden.
Anstatt schweigend, in Verzweiflung und als Verräter weiter am Leben zu bleiben, starben sie als Kämpfende. Durch Ihren heldenhaften Tod haben Sie Ihre Namen in die lange Liste derer eingetragen, die aus unserem Vaterland eine souveräne und unabhängige Nation machen wollten. Durch Ihren Tod haben Sie den Mut gezeigt, mit dem jeder Freiheitskämpfer bewaffnet sein muß. Auch wenn man realiter den Sinn mißbraucht, den Carlo Schmitt den totalitären Regimen am Anfang gegeben hatte, auch wenn die Naziverbrechen nicht die einzigen in der menschlichen Geschichte sind, auch wenn die Arier als die blutgierigsten Eindringlinge der Vergangenheit gelten, war das Mobutu-Regime das einzigartige, das die politischen Morde zu einem rigorosen Prinzip der politischen Moral erhoben hatte.
Für uns bleibt der 4. Juni 1969 für immer ein unvergeßliches Datum in der Geschichte der Oppositionsbewegung gegen das Mobutu-Regime. Es ist wahr, daß man abgelehnt hatte, diese als organisierte politische Kraft anzuerkennen. Ihre noble Aktion wurde als subversiv bezeichnet. Aber es ist nicht weniger wahr, daß Ihr Kampf auch unser Kampf ist. Denn: Die von Ihnen damals verfolgten Ziele (bessere Lebens- und Arbeitbedingungen, ein demokratisches, aufblühendes und unabhängiges Zaïre) sind mit unseren heutigen (Einrichtung eines Sozial- und Rechtsstaates) identisch. In diesem Sinn versteht sich die jetzige Etappe des vom kongolesischen Volk seit dem 2. August 1998 geführten Kampfes als ein Befreiungskampf gegen den Obskurantismus und die Besetzung unseres Landes durch Ruanda, Uganda und Burundi.
Berlin, den 03.06.2001