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Am letzten Freitag, den 19.10.2001, hat die Delegation der kongolesischen Regierung den interkongolesischen Dialog mit der Begründung verlassen, daß es sich bei dem Treffen von Addis-Abeba nicht um ein repräsentatives Treffen handelt, da nicht alle 330 nominierten Delegierten anwesend sind. Ihr folgte ein Teil der Delegation der Zivilgesellschaft. Man kann also vom Scheitern der Gespräche von Addis-Abeba sprechen, aber es bleibt noch eine Hoffnung, zumal aus Addis-Abeba berichtet wird, daß ein "Rendezvous" in Durban (Süd-Afrika) in ein bis zwei Monaten vereinbart wurde.
Die erste Frage, die man sich stellt, ist die nach dem Verbleib des "Geistes von Gaborone". Damit ist der unerwartete Konsens gemeint, der in der Hauptstadt Botswanas im August (20.-24.) dieses Jahres im Rahmen der Vorgespräche erzielt wurde und auf einen erfolgreichen Abschluß der Hauptverhandlungen in Addis-Abeba hoffen ließ. Schnee von gestern, würde ich angsichts der pannenanfälligen Gespräche von Addis-Abeba sagen.
Mein Geschichtslehrer pflegte immer zu sagen: "l'histoire est un perpétuel renouvellement" - frei übersetzt "Die Geschichte ist eine fortdauernde Wiederholung". Einschränkend aber bemerkt Hegel irgendwo, "daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen". Präzisierend fügte K. Marx hinzu: "das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Caussidière für Danton, Louis Blanc für Robespierre, die Montagne* von 1848-1851 für die Montagne von 1793-1795, der Neffe für den Onkel". Ich komplettiere: Joseph Kabila für Joseph-Désiré Mobutu, der interkongolesische Dialog (2001) für die Souveräne Nationalkonferenz (Mitte 1991 - Dezember 1992).
Im Klartext: Der inzwischen verstorbene Präsident Joseph-Désiré Mobutu hatte während der Souveränen Nationalkonferenz, die den demokratischen Prozeß in Zaïre einleiten sollte, immer wieder betont, daß er "über den Dingen steht". Die Folgen sind bekannt: eine nicht-enden-wollende Übergangszeit und ein Abgang auf Zehenspitzen des "großen Leoparden". Am Vorabend des interkongolesischen Dialogs hat Präsiden Kabila in einer Radio- und Fernsehansprache ebenfalls erklärt - ungeachtet dessen, daß das Abkommen von Lusaka von einer Gleichbehandlung aller Delegierten ("statut identique") spricht -, daß er "über den Dingen steht" und sich nicht nach Addis-Abeba begeben wird. Er sprach indes davon, daß die Machtteilung nicht auf der Tagesordnung des Treffens von Addis-Abeba steht. Im Klartext heißt das, er wird bis zu Wahlen (!) an der Spitze des Staates bleiben. Präsident Kabila nachäffend, blieb J.P. Bemba (MLC) dem Treffen von Addis-Abeba fern. A. Onusumba (RCD-Goma) hingegen war in die Hauptstadt Äthiopiens gekommen. Aber nachdem er die Abwesenheit seiner Rangkollegen vor Ort konstatiert hatte, zog er es vor, in seinem Hotelzimmer zu bleiben.
So fand die Eröffnungszeremonie des lang ersehnten interkongolesischen Dialogs, der zur Einleitung einer neuen politischen Ordnung in der DRKongo führen soll, ohne die Präsenz der Führer der Kriegsparteien statt. Die Verantwortung hierfür trägt der kongolesische Staatspräsident.
Ein weiterer Streitpunkt, der zum Scheitern der Gespräche von Addis-Abeba geführt hat, ist die Frage, ob es sich dabei um den eigentlichen interkongolesischen Dialog oder um ein weiteres Vorbereitungstreffen handelt. Diese Frage blieb ohne übereinstimmende Antwort. Während für die RCD-Goma, die MLC und die politische Opposition der interkongolesische Dialog seit dem 15. Oktober 2001 in Addis-Abeba in der Tat begonnen hat und zum Ende geführt werden muß, war die Regierung in Kinshasa der Meinung, daß dieses Treffen zum Ziel hatte, die noch offen gebliebenen Fragen (die Teilnahme der Mai-Mai-Milizen, der Kirchen, anderer Fraktionen der Opposition und der Dissidenten der bewaffneten Opposition) zu lösen.
Die im Abkommen von Lusaka (1999) vorgesehene "neue politische Ordnung" bedeutet die Machtteilung im Sinne einer Übergangsregierung und einer Übergangszeit bis zu demokratischen Wahlen. In seiner oben erwähnten Ansprache hat Präs. Kabila seine Interpretation der im Abkommen von Lusaka definierten "neuen politischen Ordnung" vorgestellt, die seiner Meinung nach aus den Wahlen hervorgehen wird. D.h. am Ende dieser (Wahlen) wird das kongolesische Volk, nachdem es seine führenden Kreise gewählt hat, die Legitimitätsfrage lösen. So etwas nennt man: das Pferd beim Schwanz aufzäumen.
Die Forderung Präsident Kabilas, schnellstmöglich Wahlen abzuhalten - und zwar, vor einem Ende des Krieges und der Teilung des Landes -, ist absurd und steht im Widerspruch zum Abkommen von Lusaka (1999).
Das zur Zeit in der DRKongo dringend zu lösende Problem ist das der Legitimität der Regierung Kabilas, ein Problem, das nur durch die Errichtung der Übergangsinstitutionen, der Festlegung der Dauer der Übergangszeit, der Machtteilung und der Bildung einer republikanischen Armee und einer republikanischen Polizei, sprich die Umsetzung des Abkommens von Lusaka, gelöst werden kann. Daher erweisen sich die jetzigen Machenschaften der Regierung in Kinshasa als Ablenkungs- und Blockierungsmanöver mit dem Ziel der Perpetuierung ihrer illegitimen und diktatorischen Macht.
Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: die Demokratisierung ist kein Zustand. Sie ist vielmehr ein Prozeß, der im weiteren Sinne konzipiert werden muß und an dessen Ende Institutionen geschaffen werden, mittels derer das Regieren durch Machtdelegation seinen legitimen und legalen Ausdruck findet. Es gibt keine Alternative zur Demokratie, das sich immer in Entwicklung befindende Ziel dieses Prozesses, und es lohnt sich, für sie, sei es auf der ideellen Ebene, wirklich zu kämpfen.
Indem ich die Aufmerksamkeit auf das lenke, was in Zusammenhang mit der aktuellen Lage in der DRKongo stattfindet, versuche ich zugleich, die konkreten Möglichkeiten zum Wandel zu hinterfragen und in großen Zügen das zu entwerfen, was unter gewissen Bedingungen eine reale Alternative sein könnte. Die einzige Konstante der Geschichte ist der Wandel, und die Ereignisse in ihrer Turbulenz bestehen immer aus beweglichen Szenen. Diese Worte erweisen sich in Bezug auf das Geschehen in Addis-Abeba dringlicher und aktueller denn je.
* Montagne (Berg), Montagnards war die Bezeichnung für den radikalen Flügel der Jakobiner in der Nationalversammlung der Französischen Revolution, da sie die am höchsten gelegenen Sitze inne hatten.
Berlin, den 21.10.2001