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Kinshasa, den 8.3.2002 - Society
Die Einwohner von Kinshasa, auch "Kinois" genannt, erleben seit einigen Monaten die schwierigsten Momente ihres Lebens. Die Misere, die gestern nur einige Familien mit niedrigem Einkommen betraf, scheint heute alle Haushalte heimzusuchen. Von den drei Mahlzeiten, die sie vor Beginn der Übergangszeit eingenommen hatten, wurden die Kinois gezwungen, sie auf zwei, in 1992, dann auf eine, in 1999, zu reduzieren. Heute sind die Familien rar geworden, die es sich noch erlauben können, eine Mahlzeit pro Tag einzunehmen. In Kinshasa ißt man von nun an durch Zufall einmal am Tag. Prosaisch sprechen die Jugendlichen von Ernährungsabschaltung.
Die Familien, denen es Dank der Gnade Gottes gelingt, zu essen, und sei es nur einmal am Tag, geben durchschnittlich 1000 bis 1500 FC aus - mit der speziellen Empfehlung an die Kinder, bis zu 2 Liter Wasser nach der einzigen Tagesration zu trinken. Diese Mahlzeit findet im allgemeinen am Abend statt, um unnötiges Magenknurren während der Nacht zu vermeiden.
Das Frühstück, wofür die "Kinois" schwärmten, ist aufgrund der hohen Preise von Brot, Zucker, Milch und Butter oder Margarine fakultativ geworden. An seine Stelle tritt die Lektüre der Bibel, wie es einige hinterhältige Pastoren von Kinshasa raten: "Zeigen Sie nie", sagen sie ihren Gläubigen, "daß Sie Hunger haben, nie, daß Sie arm sind, nie, daß es Ihnen ... fehlt. Zeigen Sie vielmehr, daß Sie Erfolg und Segen haben." Wer mit Hoffnung lebt, sagt man, stirbt mit ihr!
Die Familien, die von dieser Hungersnot, die sich in Kinshasa installiert, am meisten betroffen sind, sind die Beamten, deren Gehälter monatelang nicht bezahlt werden. Diese Gehälter variieren zwischen 3.000 und 10.000 FC (1 US-$ = ca. 330 FC). Man hört, daß selbst die Familien der Berater der Minister von der Krise betroffen sind, seit die Staatskasse die monatlichen Gehälter in zwei bis drei Raten auszahlt.
Wie aus dem Vorhergehenden zu konstatieren ist, hat die Unregelmäßigkeit der Zahlung der Gehälter in der Tat die Armut unter den Kinois verstärkt, mit der Folge, daß die Eltern mehr und mehr arm geworden sind und heute nicht mehr in der Lage sind, die Schulgebühren für ihre Kinder zu bezahlen - erst recht nicht, ihnen optimale medizinische Versorgung zu ermöglichen oder noch die Miete aufzubringen. Andere Folge: vieles wird heute in Raten bezahlt, und der Tauschhandel tritt im 21. Jahrhundert wieder in Erscheinung.
Diejenigen, die Angst vor Schulden haben, versuchen, ihren Hausrat zu verkaufen. Fernsehapparate, Radios, Tonbandgeräte, Haushaltsgeräte werden auf dem "Koweit" (Volksmarkt, wo im allgemeinen gebrauchte und gestohlene Güter verkauft werden) versilbert. Und dies, nur um sich Nahrung zu besorgen.
Man macht sich keine Mühe mehr, sich elegant zu kleiden. Die Second-Hand Läden, die die Stelle der Kaufhäuser und der Modeboutiquen eingenommen hatten, sind ebenfalls bankrott gegangen. Fehlende Käufer. Die aus Italien oder Frankreich importierten Schuhe verschimmeln in den Schaufenstern, obwohl die Preise ständig fallen. Der Gebrauch von Seife, Hautcreme, Zahnpasta... ist ebenfalls zufallsbedingt. Das, was für die Kinois zählt, ist um jeden Preis etwas zum Essen zu finden.
Die Armut hat die Bevölkerung derart zerrüttet, so daß sie sich jetzt in den sogenannten Erweckungskirchen Refugium sucht.
Woher soll die Erlösung kommen?
Anstatt sie zum Arbeiten zu ermuntern, versprechen ihnen diese Gottesmänner Wunder, und zwar je nach Höhe der Spenden, die in den Taschen der Pastoren verschwinden.
Ein anderes Phänomen, das aus dieser Misere, die Kinshasa heimsucht, hervorgeht, ist der Diebstahl. Tausende von jungen Delinquenten, die die Hauptstadt bevölkern, leben vom Diebstahl, den sie in Privatwohnungen, in Bussen (besonders in der Rush-hour), in Bistros, wo viele Betrunkene ihre Handys einbüßen, ausführen. Diebstahl auch in den Kirchen!
In der Tat wurden in den letzten Tagen Diebstähle in den Gotteshäusern registriert, wo eingedrungene Diebe die Momente der Anbetung nutzen, um Handtaschen, Brillen, Kommunikationsapparate der sich in Extase befindlichen Gläubigen zu stehlen. Stehlen ist eine Art von Sport in Kinshasa geworden. Sogar Frauen, scheint es, betreiben ihn an den Bushaltestellen.
In Anbetracht dieses gestörten sozialen Friedens fragen sich einige: woher soll die Erlösung kommen? Von Gott? Von den Kongolesen selbst? Von der Troika (Frankreich, Belgien, USA), von der EU? Oder von Sun-City? Das Rennen in Richtung Abgrund ist aktuell.
Franc Ngyke, La Référence Plus
Vor diesem düsteren Hintergrund findet seit zwei Wochen in Sun-City (Süd-Afrika) der interkongolesische Dialog statt, der zum Ziel hat, eine neue politische Ordnung in der DRKongo zu errichten, die ihrerseits den Weg zu freien, demokratischen und transparenten Wahlen ebnen soll. Zwei Wochen, von denen fast die Hälfte für die Behandlung der protokollarischen Fragen und der Frage der Zusatzliste verschwendet wurde.
Nach der Eröffnung der Verhandlungen wurden die Positionen aller Komponenten des interkongolesischen Dialogs bezüglich der Zukunft des Landes und der Lösung der aktuellen Krise bekannt.
Die Regierung in Kinshasa plädiert für ein Präsidialregime, einen einheitlichen und stark dezentralisierten Staat und auch dafür, daß die neue politische Ordnung aus demokratischen und transparenten Wahlen entsteht. Die RCD-Goma ist für ein parlamentarisches Regime mit einem Staatspräsidenten und zwei Vize-Präsidenten und befürwortet die Einrichtung neuer Institutionen der Übergangszeit und die Bestellung der Personen, die diese Institutionen leiten sollen, durch den interkongolesischen Dialog. Die MLC unterstützt die Bereitstellung von konsensuellen Institutionen, aus denen eine Regierung der nationalen Einheit hervorgehen soll. E. Tshisekedi (UDPS) schlägt die Elaborierung einer Transitionsverfassung per Konsens, einen einheitlichen und stark dezentralisierten Staat und, angesichts der gewaltigen Größe der Krise und des Staatsverfalls, ein Präsidialregime vor. Er legt eine Periode von 3 - 5 Jahren für die Dauer der Übergangszeit und die Festlegung von objektiven und impersonellen Kriterien für die Leiter der Institutionen der Übergangszeit nahe. Für den Vorsitzenden der UDPS sollen die Wahlen, die er sich frei und transparent wünscht, durch eine unabhängige und durch die Zivilgesellschaft geleitete Wahlkommission unter der Schlichtung der politischen Parteien organisiert und überwacht werden. Für Bo-Boliko, Vorsitzender der PDSC, setzt die neue politische Ordnung eine Transition voraus, die einen Vorgeschmack der 3. Republik darstellt, und in diesem Sinne sollen ihre Institutionen durch alle Komponenten des interkongolesischen Dialogs geleitet werden. Frau Nzuzi wa Mbombo, Führerin der MPR fait privé, vertritt die Meinung, daß der Erfolg der neuen politischen Ordnung vom harmonischen Funktionieren ihrer Institutionen abhängt. Da es "keine Sieger oder Besiegte" im jetzigen Kongo-Krieg gibt, soll die neue politische Ordnung das Abkommen von Lusaka widerspiegeln.
Die RCD-Goma und die MLC, unterstützt durch die unbewaffnete Opposition, verlangen, daß die Stelle des Staatspräsidenten vakant erklärt wird, bevor man zur Tagesordnung übergeht. Für sie bedeutet die neue politische Ordnung die Errichtung neuer politischer Institutionen, die zu freien, demokratischen und transparenten Wahlen führen sollen. Die Regierungsdelegation setzt dem entgegen, daß die DRKongo bereits einen Staatspräsidenten hat. Er heißt Joseph Kabila. Die neue politische Ordnung, so die Delegation aus Kinshasa weiter, soll aus freien und demokratischen Wahlen hervorgehen. So etwas nennt man: "Das Pferd beim Schwanz aufzäumen". Denn: Die im Abkommen von Lusaka (1999) vorgesehene "neue politische Ordnung" bedeutet, wie wir in unserem Kommentar vom 21.10.2001 geschrieben hatten, die Machtteilung im Sinne einer Übergangsregierung und der Übergangsistitutionen bis zu Wahlen. Im Klartext, die neue politische Ordnung in der DRKongo soll das Ergebnis des interkongolesischen Dialogs sein.
Wie dem Vorhergehenden zu entnehmen ist, scheint die neue politische Ordnung ein Streitpunkt zu sein, auf den sich die Diskussionen der nächsten Tage fokussieren werden. Denn: sie ist der einzige gangbare Weg, um den durch die Kampagne der AFDL in 1996 unterbrochenen Konsens - daß die Macht nie durch Gewalt übernommen werden soll und alle Krisen innerhalb der Institutionen friedlich zu lösen sind - wieder herzustellen. Ein anderer Streitpunkt ist die neu zu organisierende Nationalarmee, die den Hauptteil der Reden der Mai-Mai, der MNC-L und anderer Mitglieder der politischen Opposition einnimmt.
Um die in dem oben zitierten Artikel gestellte Frage, "Woher soll die Erlösung kommen?", zu beantworten, sind wir der Meinung, daß die aktuelle Kongo-Krise nur von den Kongolesen selbst gelöst werden kann, und zwar indem sie die Geschicke ihres Landes in die eigenen Hände nehmen. Der zur Zeit in Sun-City (Süd-Afrika) tagende interkongolesische Dialog stellt den idealen Rahmen dafür dar.
Berlin, den 11.3.2002