archiv.kongo-kinshasa.de ist eine Informationssite über die Demokratische Republik Kongo: Neben Seiten über das Land im allgemeinen und ein paar Fotos gibt es auch aktuelle Nachrichten und eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten aus unterschiedlichen Quellen.
Das Land
Aktuelle Infos
Service
Zum 42. Jahrestag der Entlassung Belgisch-Kongos in die Unabhängigkeit habe ich mir die diffizile Aufgabe gestellt, über die politischen Ideen Lumumbas und kurz über seine politische Erbschaft zu referieren. Ich sage hier "diffizile Aufgabe" deshalb, weil seit der feigen Ermordung des ersten demokratisch gewählten kongolesischen Regierungschefs immer wieder versucht wird, zu verhindern, daß der Politiker Lumumba und sein Wirken eine Inspirationsquelle für die afrikanischen Völker werden.
Um daran zu hindern, daß es einen neuen "Lumumba" gibt, mußten seine Ideen und sein Kampf gegen die koloniale und neokoloniale Dominanz aus der kollektiven Erinnerung verschwinden.
Man nahm sich vor, sich der Realisierung, der Umsetzung seines nationalistischen Projekts um jeden Preis zu widersetzen, nationales Projekt, das bis heute aktuell ist und darauf zielt, einen einheitlichen Nationalstaat und eine Ökonomie zu gründen, die den Bedürfnissen des Volkes Rechnung tragen.
Die Folge davon ist, daß über vierzig Jahre lang nach seiner Ermordung Lumumba immer noch ein großer Unbekannter in der afrikanischen Historiographie bleibt und mißverstanden ist.
Das Drama dieses Politikers, der den Belgiern und dem Westen freundlich gegenüber stand, lag darin, daß diese ihn als gefährlichen Agitator kommunistischer Obedienz betrachteten. Er war realiter (in Wirklichkeit) aber ein "Liberaler", der, um hier mit Ludo de Witte zu sprechen, nicht nur ein demokratisch gewählter Premierminister, sondern auch der Führer einer embryonären nationalistischen Bewegung war, die im Fall des Sieges über den Westen den Lauf der Geschichte in Afrika hätte positiv beeinflussen können.
Die europäischen und amerikanischen "Afrikanisten", sich beziehend auf die damals propagierten westlichen Klischees, beschreiben Lumumba als einen Menschen, der ohne klare Vision und ohne deutlichen Aktionsplan dem Westen den Krieg erklärt hatte und zu schnell Opfer des Chaos der Kongo-Krise wurde, die er zum Großteil provoziert hatte.
Zu kritisieren ist, daß diese Lektüre des politischen Lebens Lumumbas keinen Bezug auf die UNO-Intervention nimmt, die westlichen Einmischungen herunterspielt und Lumumba als einen realitätsfremden und eigensinnigen Menschen charakterisiert.
Die Erscheinung Lumumba in der afrikanischen Geschichte war so schnell und so kurz - J. P. Sartre bezeichnet ihn als Meteor am Firmament der afrikanischen Politik -, ich meine die Erscheinung Lumumba in der afrikanischen Geschichte war so schnell und so kurz, daß die Beobachter unschlüssig gegenüber seiner Tragödie bleiben. War es, weil seine Tragödie einen unglaublichen Traum und zugleich eine diffizile Realität symbolisierte?
Wer war Lumumba in Wirklichkeit und wie drückten sich seine politischen Ideen aus?
Zwei Ereignisse, die im Jahr 1958 stattgefunden haben - ich meine die Brüsseler Weltausstellung und den ersten Panafrikanischen Kongress von Accra/Ghana -, stellen eine Zäsur in der politischen Entwicklung Lumumbas dar. Man kann also von der Zeit vor 1958 und der Zeit nach 1958 sprechen.
An dieser Stelle ist zu bemerken, daß ich mich im folgenden mit der Zeit nach 1958 beschäftige. Aber zum Vermerk ist daran zu erinnern, daß die Aktionen Lumumbas in der Zeit vor 1958 im Rahmen dessen blieben, was der Kolonialpaternalismus vorgeschrieben hatte, nämlich die Idee einer Gleichberechtigung der Kongolesen gegenüber den Europäern innerhalb einer "Belgisch-Kongolesischen Gemeinschaft". Dies war auch die Ansicht der "Evolués", der sogenannten Entwickelten, d.h. derjenigen, die immerhin zur Kolonialzeit eine mittlere Ausbildung nachweisen konnten und daher zur autochthonen Elite zählten.
Die Brüsseler Weltausstellung eröffnete Lumumba und anderen kongolesischen Besuchern aus verschiedenen Regionen die Möglichkeiten, zum einen erstmals direkt zu politischen Kreisen in Belgien Kontakt aufzunehmen und zum anderen sich persönlich kennen zu lernen - da aufgrund der großen Entfernungen und auch der Politik der Kolonialverwaltung solche Kontakte möglichst zu unterbinden, in Belgisch-Kongo sehr erschwert waren.
Für Lumumba kennzeichnete sich die Zeit nach 1958 dadurch, daß er sich von der "Idee der Gleichberechtigung und der Gleichstellung" innerhalb einer "Belgisch-Kongolesischen Gemeinschaft" trennte und eine echte Dekolonisation zugunsten des kongolesischen Volkes forderte. Um dieses Ziel zu erreichen, entwickelte er einen Nationalismus, auch der Lumumbismus genannt, der auf folgenden politischen Pfeilern basierte:
Der Belgier, Jean van Lierde, Freund und Mitarbeiter Lumumbas, den ich hier frei zitiere, bemerkt in diesem Zusammenhang: Wenn die Brüsseler Weltausstellung von 1958 eine Katalysatorrolle bei der Verständigung der kongolesischen politischen Strömungen, die von Tribalismus und Provinzialismus behaftet waren, gespielt hatte, muß präzisiert werden, daß einzig Lumumba damals in der Lage gewesen war, eine Doktrin zu elaborieren, die supra-ethnische Konzepte einschloß. Gemeinsam integrierte er (Lumumba) diese Konzepte in eine positive Neutralitätspolitik und in einen Panafrikanismus, die die Globalität der Befreiung der Gesamtheit der kolonisierten Völker umfaßten.
Dennoch stimmte seine Ansicht in einem Punkt mit der Belgiens vollkommem überein, nämlich die Option für den Unitarismus (Streben nach einem Einheitsstaat) der Republik Kongos, Unitarismus, den er unaufhörlich proklamierte und übrigens das natürliche Resultat seines Kampfes gegen den Tribalismus und gegen die von Brüssel ferngesteuerte Sezession war.
Der Aufenthalt in Brüssel ermöglichte auch Lumumba sowie anderen Mitgliedern der Delegation, Afrikanern aus anderen Ländern zu begegnen sowie mit Journalisten jeglicher Couleur Kontakt aufzunehmen. So machte Lumumba Bekanntschaft mit dem bereits o.g. belgischen Journalisten, Jean van Lierde, der, nach eigenen Angaben, zur Teilnahme der Kongolesen, u.a. Lumumbas, am ersten Panafrikanischen Kongress von Accra beitrug, bei dem sie das Selbstbewußtsein der afrikanischen unabhängigen Staaten erlebten.
Die Negritude, auf die sich Lumumba bezog, war nur ein wesentliches Element der Wahrnehmung und der Verwurzelung, das es ihm ermöglichte, das unterdrückte kongolesische Volk für den Weltkampf gegen die Oppression und Ausbeutung zu sensibilisieren. Der Lumumbismus geht also zurück auf die Negritude Aimé Césaires, an dessen Namen man heute nicht denkt, wenn von Negritude die Rede ist.
Um den Rahmen dieses Textes nicht zu sprengen, verzichte ich auf eine ausführliche Annotation der Schriften Aimé Césaires. Aber festzuhalten ist, daß Césaire anders als die Verfechter der alten "Negerkulturen" diese nicht verherrlichen will. Er zielt nicht auf die Reduplikation der alten Gesellschaften und meint, ich zitiere, "das überlassen wir den Amateuren des Exotismus". Für Césaire, wie später für Fanon, hat die Rehabilitierung der zerstörten Kulturen die Funktion, den Kolonisierten selbst zu rehabilitieren, seine kulturelle Identität wieder herzustellen.
Die berühmt gewordene Überraschungsrede Lumumbas am 30. Juni 1960 vor dem belgischen König und den Diplomaten der ganzen Welt reiht sich in die uneingeschränkte Apologie der "Negerkulturen" à la A. Césaire ein und zeichnet die Stärke der politischen Gedanken Lumumbas aus. Sie ist eindrucksvoll, weil ihr Inhalt der Massenbewegung, die das Konolialgebäude zerstört hatte, das Wort erteilt. Für Lumumba war die Erlangung der Unabhängigkeit nicht ein durch die Kolonialisten aufoktroyierter Sieg, sondern das Resultat eines friedlichen Kampfes und eines gewaltlosen Gefechts. Er betrachtete es als seine Aufgabe, den Sinn und die Bedeutung dieses Kampfes und Gefechts zum Nutzen seines Volkes und der Völker anderer Länder der Dritten Welt in konstruktive Antikolonialpolitik umzusetzen.
Trotz seines kurzen politischen Lebens hatte Lumumba in einem Brief an seine Ehefrau ein politisches Testament hinterlassen. In diesem bekräftigte er seinen Kampf gegen den Neokolonialismus und legte gleichfalls seinen unbeugsamen Glauben an den Endsieg der antikolonialen Revolution dar.
Eine Lektüre der belgischen und internationalen Presse von 1960 zeigt den Einfluß Lumumbas auf der Waagschale der Weltkäfte. Während er von den einen angeprangert wurde, verkörperte er die Hoffnung einer großen Zahl der Menschen aus der Dritten Welt. Wenn man seine Reden wieder liest oder die unmittelbaren Ereignisse seiner Ermordung betrachtet, findet man überall das außergewöhnliche Format und die Intelligenz eines politischen Führers vor, für den das Wort heilig war. Dies führte ihn manchmal zu der Vorstellung, daß es (das Wort) genügte, um zu regieren. Dies war die Kehrseite seiner Stärke, denn das Wort schien immer zu attestieren, daß die Massen in Verbindung mit der magnetischen Kraft seines Blickes stehen, während dagegen seine Einsamkeit oft groß war.
Die Assimilierung der politischen Erinnerung Lumumbas mit den Errungenschaften seines Individuums geht auf das Fehlen einer kongolesischen Bewegung zurück, die in der Lage ist, den Kampf Lumumbas fortzusetzen und die wahren Werte seiner Überzeugungen und seiner politischen Position umzusetzen. Mit anderen Worten, das, was bis jetzt fehlt, ist eine Volksbewegung, die die politischen Ziele Lumumbas aufnimmt und die Befreiung des Landes vom Neokolonialismus auf die Tagesordnung setzt.
Im Anschluß an Ludo de Witte kann gesagt werden, daß die kurze politische Karriere Lumumbas, sein Sturz und schließlich seine Ermordung zur starken Demoralisierung des afrikanischen Nationalismus geführt und in den letzten Jahrzehnten eine verheerende Folge auf die Entwicklung des afrikanischen Kontinents gehabt hatten. Die Verzögerung der Dekolonisation in den portugiesischen Kolonien, die vorübergehende Neutralisierung der Antiapartheidsbewegung in Süd Afrika, der dem Regime Ian Smiths in Rhodesien erteilte Aufschub und der Sturz Ben Bellas in Algerien mögen hier stellvertretend für viele genannt werden.
Wie bereits erwähnt, ist Lumumba in die Geschichte als ein "Meteor" eingegangen, aber er hat der Geschichte Kongos einen endgültigen Stempel aufgedrückt, mittels dessen sein Volk und die schwarze Welt den Beginn der neuen Ära anerkennen. Aus diesem Grund bleibt Lumumba nicht nur eine legendäre Figur, sondern auch eine Hoffnung für die afrikanische Jugend, die bereit ist, für Gerechtigkeit und Frieden zu kämpfen.
Dies ist mein Portrait des Menschen, den die Geschichte in Erinnerung behält, obwohl er in Europa, in der Dritten Welt und in seiner Heimat umstritten und mißverstanden bleibt.
Berlin, den 30.6.2002