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Offiziell ist der Krieg im Kongo jetzt beendet. Zugrunde gerichtet haben das Land jedoch der Terror und die Misswirtschaft des Staates - diese bestehen nach wie vor.
Zwanzig Millionen Menschen leben im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Von diesen sind bis zu drei Millionen an den Folgen von vier Jahren Krieg gestorben, zumeist an Hunger und Seuchen. Warlords kämpfen um Territorien und damit um einen Platz am Tisch des gesamtkongolesischen Machtspiels. Das ganze Land ist zwischen Einflusszonen politischer Führer geteilt, die jetzt eine gemeinsame Regierung bilden sollen.
Das Verschwinden des Kongo als geeintes Staatswesen ist der Endpunkt einer seit Jahrzehnten verfehlten Entwicklung. Als der Kongo nach der grausamen belgischen Kolonialherrschaft 1960 unabhängig wurde, war sein Wirtschaftsniveau das eines Schwellenlandes mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 2.000 Dollar nach heutigen Werten. Nach jahrzehntelanger Ausplünderung durch den Diktator Joseph Désiré Mobutu war das Pro-Kopf-Einkommen Mitte der 80er-Jahre auf ein Drittel gesunken, etwa 700 Dollar, und Intellektuelle sprachen bereits von einer Existenzkrise ihres Landes. Dann ließ Mobutu politischen Pluralismus zu, ohne die Wirtschaft zu reformieren, und als er 1997 von Rebellen und ausländischen Armeen unter Führung des Guerilleros Laurent Kabila verjagt wurde, war das Pro-Kopf-Einkommen erneut auf ein Drittel gefallen, etwa 200 Dollar. Anstelle der erhofften Neugründung des Kongo als funktionierender Staat folgten Krieg und Zerfall. Heute liegt das Pro-Kopf-Einkommen nur noch bei einem Drittel des Wertes von vor fünf Jahren, bei etwa 70 Dollar.
Diese Zahlen geben einen Eindruck der Dimension der Herausforderung, den Kongo wiederaufzubauen. Es geht um die komplette Umkehrung eines Entwicklungsmodells, das zuerst Belgiens König Leopold Ende des 19. Jahrhunderts einführte: der Kongo als unerschöpfliches Reservoir wertvoller Rohstoffe mit einer als überflüssig betrachteten Bevölkerung. Ressourcen verlassen das Land, nichts kommt zurück.
Angesichts des vollständigen Zusammenbruchs der kongolesischen Wirtschaft sind alle einheimischen Akteure inzwischen darauf reduziert, ihr eigenes Territorium auszurauben und ihre Ressourcen an jeden zu verschleudern, der ihnen Gewehre bietet. Der Kongo verfügt über einige der größten Bergwerke der Welt, aber es gibt keinen industriellen Bergbau mehr. In verlassenen Stollen und Halden graben Schürfer nach Resten, und hungrige Warlords warten auf das Produkt wie Aasgeier. So wird Krieg zur Fortsetzung von Geschäft mit anderen Mitteln. Doch Kongos Rohstoffkriege sind nichts Neues. Sie setzen das alte Muster von Misswirtschaft und Gewaltherrschaft fort.
Ein Ende des Krieges bedeutet also noch keine automatische Wende zum Guten. Es gibt keinen Zauberspruch, mit dem sich all diese bösen Räuber in Luft auflösen und die einfachen Kongolesen endlich wieder normal leben können: zurück in ihre Dörfer gehen, ihre Felder bestellen, Gemüse anbauen, auf kleinen Märkten Handel treiben.
Im Osten des Kongo hat der Krieg die Gesellschaft unwiderruflich verändert. Der Terror der Milizen hat eine rapide Verstädterung herbeigeführt - Städte wie Goma und Bukavu sind innerhalb von einer Generation von unter 100.000 auf über 500.000 Bewohner gewachsen. Die Gewaltökonomie hat in weiten Landstrichen die Wirtschaft der Herrschaft des US-Dollars unterworfen. Die meisten traditionellen Autoritäten und Strukturen des Landes sind diskreditiert. Schon in den letzten Jahren der Mobutu-Herrschaft wurden traditionelle Chefs dazu ermutigt, Milizen zu bilden, um ihre Macht durch Landraub zu konsolidieren. Heute genießen sie kaum Respekt, denn sie sind mitverantwortlich für den Krieg.
Es ist völlig ausgeschlossen, dass nach dem Krieg alle einfach wieder nach Hause gehen und so tun, als sei nichts passiert. Es gibt kein normales Leben jenseits der Verwerfungen des Krieges. Auch wenn der Kongo jetzt eine Regierung der Nationalen Einheit mit UN-Soldaten und Weltbankmilliarden bekommt, ändert sich daran nichts. Das Problem könnte sich sogar noch verschärfen. Es gibt kein Vorbild im Kongo für eine Regierung, die sich mit der Bevölkerung identifiziert. Es gibt unzählige Präzedenzfälle für Regierungen, die ihre Macht dazu nutzen, den Kongo gewaltsam in eine Form zu pressen, die dann Politikern, Investoren und Entwicklungsexperten als Verfügungsmasse dient.
Aber zugleich sind die einfachen Kongolesen keine willenlosen Opfer. Sie sind Bürger eines Landes mit Rechten, die sie genießen wollen, und sie brauchen Unterstützung, um diese Rechte einzufordern. Hier stehen die Regierungen reicher Länder in der Pflicht, denn einzelne ihrer Bürger spielen im Kongo eine viel größere Rolle, als ihre Heimatländer denken.
Zum Beispiel kommen die wichtigsten ökonomischen Akteure des Ostkongo aus Deutschland. Der Bergbaubesitzer Karl-Heinz Albers, einst in einem Joint-Venture tätig, fördert Pyrochlor aus der Mine Lweshe nördlich von Goma und war eine Zeit lang einer der wichtigsten Coltanexporteure des Kongo. Seine Geschäfte sind zum Teil dubios, aber er bietet Dienstleistungen und mehrere hundert bezahlte Arbeitsplätze, von denen jeder eine Großfamilie ernährt.
Oder die Firma Pharmakina in Bukavu, Marktführer für Malariamittel auf Chininbasis. Einst Besitz der deutschen Firma Boehringer, dann übergegagen an Hoffman-LaRoche in der Schweiz, wurde sie zu Beginn des Krieges an ihren deutschen Manager Horst Gebbers und seinen französischen Kollegen verkauft, die sie im Alleingang saniert haben. Sie besitzt große Ländereien; mit 1.200 Arbeitsplätzen ist sie das ökonomische Rückgrat und der größte private Arbeitgeber einer Stadt mit einer halben Million Einwohnern.
Oder die Deutsche Welthungerhilfe, die sich in Nord-Kivu der Wiederherstellung des alten Landstraßennetzes widmet. Hunderte von Kilometern Straße um Goma und Butembo sind von der lokalen Bevölkerung wiederaufgebaut worden, versorgt und gefördert von der Welthungerhilfe, was abgeschnittene Dörfer wieder an Straßen und Märkte anbindet.
Natürlich gibt es bei alldem auch negative Aspekte, aber zusammengenommen haben diese drei deutschen Initiativen vermutlich tausende von Menschenleben gerettet. All diese Akteure operieren in einem rechtsfreien Raum ohne Bestandsgarantie. Die Bundesregierung hat eine klare Verantwortung, die deutschen Aktivitäten abzusichern und weiterzuentwickeln, damit Kongolesen nicht nur vom guten Willen einiger Einzelpersonen abhängig sind.
Zugleich wird deutlich, dass Handeln möglich ist. Die Erfahrungen der deutschen und anderen ausländischen Akteure im Ostkongo sowie die Erfahrungen der lokalen Bevölkerung mit ihnen müssen gesammelt und in die Debatte um einen Wiederaufbau des Kongo eingebracht werden, damit diese nicht den Warlords allein überlassen bleibt. Die Suche nach einem Ausweg aus dem Krieg ist auch eine Chance, die Wiederholung begangener Fehler zu vermeiden.
DOMINIC JOHNSON
19.12.2002 taz Meinung und Diskussion 241 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 12 taz-Debatte