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von Helmut Strizek
Am 25. November 2004 hat der ruandische Staatschef Paul Kagamé in einem Schreiben an den amtierenden Vorsitzenden der Afrikanischen Union, den nigerianischen Staatschef Obasanjo, angekündigt, ruandische Truppen werden in den nächsten Tagen im Kongo einmarschieren, um die Frage der dort noch lebenden Hutu-Widerstandsgruppen in seinem Sinne zu lösen. Die Aktion werde in ca. zwei Wochen beendet sein.
Seit dem 2. Dezember 2004 befinden sich ruandische Soldaten in der Kivu-Provinz im Ost-Kongo. Der seit langem erwartete III. Kongo-Krieg hat mit mehr oder weniger offener Zustimmung der Welt begonnen. In Ougadougou hatte Kagamé am Rande der Frankophonie- Konferenz schon seine Absichten ventiliert, nachdem selbst Senegal offenbar bei einem Staatsbesuch Kagamés einige Tage zuvor faktisch grünes Licht gegeben hatte. Der in Afrika herumreisende Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wurde ebenfalls eingeweiht und "eierte" in bekannter Manier herum. Man sei dagegen, aber man wolle nichts unternehmen. Schließlich hat die Weltgemeinschaft ja gerade auch mit der Darfur-Krise einen neuen "Konflikt am Hals.".
Der strategische Meister, von General Dallaire schon als "afrikanischer Napoleon" hochstilisiert, nutzte die Gunst der Stunde, seine Ansprüche auf den Ost-Kongo wieder militärisch zu demonstrieren. Ob sich Kagamé damit überhebt und diesmal "auf dem Weg nach Moskau" ist? Nichts ist entschieden, aber die Weltlage ist ungünstiger für ihn als 1990 beim Beginn seines ersten Aggressionskrieges mit der Unterstützung des ugandischen Staatschefs Museveni. (Selbst Alison Des Forges von Human Rights Watch hat am 4.12.2004 die Einstellung der Finanzunterstützung des Kagamé Regimes gefordert.)
Worum geht es jetzt? Die - zudem noch in sich zerstrittenen - Gruppen, die sich derzeit unter der Bezeichnung Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) im Ost-Kongo aufhalten, stellen nach dem Urteil aller mit der Frage befassten Beobachter für Ruanda keine militärische Bedrohung dar. Die Organisatoren haben sich von der Tatsache leiten lassen, dass im Krieg im Gebiet der Großen Seen nur derjenige gehört wird, der als "Kriegsherr" Mitwirkungsansprüche erheben kann. Dies war von Beginn an riskant, da Kagamé nur auf einen solchen Vorwand wartete, um endgültig mit seinen Kritikern im eigenen Lager abrechnen zu können. Denn die FDLR hatten sich mit einem der wichtigsten Opponenten im Kagamé-Lager, dem aus der gleichen dynastischen Familie wie Kagamé stammende Valens Kajeguhakwa zusammen getan. Kajeguhakwa hat den FPR-Staat verlassen, nachdem klar war, dass Kagamé ihm keine seinen Erwartungen entsprechende Führungsrolle im neuen Staat zugestehen würde. Dass dann die Hutu-Opposition, die im Kongo lange Zeit von den beiden Kabila instrumentalisiert wurde, mit einem inzwischen zum Todfeind von Kagamé avancierten "Sponsor" des ersten FPR-Eroberungskrieges paktiert, war äußerst gefährlich. Kagamé konnte bei seinem Verbündeten in den USA sogar durchsetzen, dass Kajeguhakwa dort unter dem Vorwand finanzieller Unregelmäßigkeiten verhaftet wurde.
Faktisch der gesamte Hoch-Adel (sowohl aus der Familie des Nyiginya- als auch des Bega-Clans) hat seit 1994 das Land verlassen und stellt für Kagamé eine gefährliche Opposition dar. Dieser Opposition will er mit der erneuten Invasion im Kongo einen Schlag versetzen, nachdem die "Aktion Ruberwa" im August 2004 nicht funktioniert und Kagamés Prestige sehr geschwächt hatte. Der Ruanda in der Kongo-Übergangsregierung vertretende Vizepräsident Azerias Ruberwa hatte sich nach im Mai 2004 gescheiterten Militäraufständen im Kivu durch die beiden Dissidenten der Kongo-Armee, General Nkunda und Oberst Mutebesi, im August 2004 in den Osten begeben und die Machtteilung in der Kinshasa-Übergangsregierung für gescheitert erklärt. Als Vorwand für die Aufkündigung des Machtteilungsabkommens in Kinshasa diente ein nicht wirklich aufgeklärtes Massaker an Banyamulenge-Flüchtlingen in einem Lager in Burundi nahe der Kongo-Grenze am 13. August 2004. Aber Ruberwa und Kagamé mussten die Aktion abblasen, weil weder die USA noch Südafrika den Demokratisierungsprozess im Kongo abbrechen wollten, der im Jahr 2005 zu allgemeinen Wahlen führen soll. Ruberwa kehrte reumütig in die Übergangsregierung zurück.
Da Kagamé nichts mehr fürchten kann als einen demokratischen Nachbarn Kongo, ist er nun in einer Klemme. Er muss handeln, auch wenn die Zeit nicht reif dafür ist. Zwei "Trümpfe" sind ihm abhanden gekommen. Seine seinerzeitige Unterstützung für den Irak-Krieg und das Wohlwollen, das ihm dies bei der Bush-Administration einbrachte, führte zu einem Sympathie-Verlust bei anderen westlichen Ländern. Bei Bush selbst wurde dann seine kaum verhohlene "Wahlwerbung" für Kerry negativ vermerkt. Seine "Pfunde" in Washington wiegen kaum noch etwas. Die Bush-Administration wird sich nun an die Stabilisierung des Kongo machen - gerade diesen Teil wird Condoleezza Rice nachdrücklich betreiben. Da sind Eroberungskriege Kagamés nicht mehr vorgesehen.
Kagamé spielt erneut mit hohem Einsatz und wieder zum Schaden der Tutsi-Bevölkerung. Der im Kongo früher nicht gekannte Tutsi-Hass verstärkt sich und bringt die dort lebenden - zumeist als Banyamulenge bezeichneten - Tutsi in Gefahr. Nach der unterlassenen Hilfeleistung für die Tutsi während seines Eroberungskrieges 1994 scheint er erneut bereit, Tutsi "zu opfern", um beweisen zu können, die Völkermörder seien noch immer aktiv.
Mein Fazit: Der größte Feind der Tutsi ist und bleibt Paul Kagamé. Ohne ihn wäre ein demokratischer Staatsaufbau, in dem Hutu und Tutsi dauerhaft ihren Platz finden würden, schon auf gutem Wege.
Aber da ist auch noch der Darfur-Konflikt, der von den Gruppen am Leben gehalten wird, die 1993/1994 die fatale Entscheidung getroffen haben, um den Preis von Millionen toter Tutsi und Hutu, die alleinige Machteroberung durch die FPR zu favorisieren und damit das Arusha-Machtteilungsabkommen für null und nichtig zu erklären.
Niemand kann mehr bezweifeln, dass die Unruhen dort von den Rebellen fortgesetzt werden und der Staat Sudan reagieren muss, ob er will oder nicht. Dabei ist die schwache Sudan-Regierung auf die Reitermilizen angewiesen. Ich war etwas überrascht, als ich den Satz von Prof. Tetzlaff¹ las, der mir wie "Rebellenverherrlichung" vorkam: "Um überhaupt Gehör zu finden, musste man zu den Waffen greifen." Ich fand dies noch weniger verständlich, als er selbst schreibt, bei den Rebellen handele es sich um die "Sudan Liberation Army" (SLA), die den Protest des Massalit-Volkes artikulierte, und um das "Justice and Equality Movement" (JEM), in dem sich hauptsächlich junge, perspektiv- und joblose Männer der Fur und Zaghawas zusammengeschlossen hatten, wahrscheinlich unterstützt von dem internen Widersacher des Staatspräsidenten, dem unter Hausarrest gestellten Islamistenführers al-Turabi, der den Machtkampf gegen Juntachef al-Bashir verloren hatte." (INTERNATIONALE POLITIK, Heft 11/12.2004, S. 92/93).
Ich war gegen eine "Sympathie mit Rebellen von rechts" in Angola und Mosambik und kann sie auch von links nicht gutheißen. Es kann doch nicht auf Dauer sinnvoll sein, jegliche Aufstandsbewegung ungeachtet der vorhersehbaren Folgen zu unterstützen.
Der vom früheren niederländischen Entwicklungs- und Umweltminister Jan Pronk konzertierte Einsatz der ruandischen Soldaten im Darfur dient meines Erachtens keineswegs der Suche nach Frieden, sondern soll die Aufrechterhaltung eines Konflikts fördern, in dessen Schatten sich die damals von der Clinton-Administration "abgesegneten" Gebietsansprüche des diktatorischen Regimes in Kigali vielleicht doch noch durchsetzen lassen.
In der deutschen Öffentlichkeit, beim BMZ und dem langjährigen Afrikabeauftragten Harald Ganns ist nach wie vor große Nachsicht mit dem Regime in Kigali angesagt. Frau Wieczorek-Zeul mag die Demütigung, die ihr Paul Kagamé bei ihrem Besuch in Kigali mit seinen Schmähreden gegen die UNO-Soldaten im Kongo zuteil werden ließ, zu neuen Einsichten bewogen haben. Bei ihrer Vertreterin Uschi Eid und dem TAZ-Redakteur Dominic Johnson ist noch immer kein Erkenntniswandel erkennbar.
Die FPR fühlt sich der Unterstützung der Bundesregierung noch immer ziemlich sicher, wenn zwei Vertreter der ruandischen Botschaft in Bonn am 16.11.2004 bei einem Vortrag, zudem mich die Evangelische Studentengemeinde in Koblenz eingeladen hatte, mit einem als "Richtigstellung" bezeichneten Flugblatt erschien, in dem unter anderem meine Feststellungen zur Verantwortung der Ruandischen Patriotischen Front für den Flugzeugabschuss am 6.4.1994 verurteilt wurden
"Man hat viele Geschichten, Zeugenaussagen und widersprüchliche und verwirrende Versionen über diese Sache mit dem Flugzeugattentat gehört. Keine neutrale und unparteiisch internationale Untersuchung wurde durchgeführt, um die wahren Verantwortlichen des Attentats vom 6. April auszumachen. Es wäre also vermessen, jetzt zu versuchen, willkürliche, nicht objektive Anschuldigungen, die jeder Grundlage entbehren, zu erheben."
Es ist schon erstaunlich, wenn Vertreter des Regimes, das seit Jahren Ruanda eine Untersuchung des den Völkermord 1994 auslösenden Flugzeugabschusses verhindert, nun beklagt, keine Kommission hätte nach den Verantwortlichen gesucht.
Ich finde es gut, dass die deutsche Öffentlichkeit sich mit der demokratischen Opposition in Kiew solidarisiert. Aber fällt denn niemandem auf, dass man in Ruanda im August 2003 eine gefälschte Wahl mit 95 % Stimmen zugunsten des herrschenden Diktators kommentarlos hingenommen hat und auch jetzt seine Aggression eines Nachbarlandes, nur um den Demokratisierungsprozess dort und in Burundi zu stören, sehr lau kommentiert, wenn man ihn denn überhaupt erwähnt? Ich will dennoch die Hoffnung nicht aufgeben, dass die "internationale Gemeinschaft" Afrika das "Welterbe Demokratie" nicht weiterhin vorenthält und von dem häufig gepflegten Vorurteil von der "Demokratieunfähigkeit" Afrikas langsam Abschied nimmt.
Berlin, den 7.12.2004
¹(Hinweis: Prof. Tetzlaff schrieb mir am 6.12.2004, dass es sich bei dieser Interpretation um ein Missverständnis handele. "Mir ging es bei der zitierten Textstelle um eine neutrale Beobachtung von Fakten: wer heute politisch in Afrika Gehör finden will, muss Rabatz machen und Schlagzeilen in der Weltpresse machen. Danach wird man als stake holder Ernst genommen und zu "Friedensverhandlungen" eingeladen. Das sind die neuen Spielregeln in vordemokratischen Staaten - ob uns das gefällt oder nicht! Eine persönliche Wertung oder Stellungnahme war damit nicht verbunden.")