archiv.kongo-kinshasa.de ist eine Informationssite über die Demokratische Republik Kongo: Neben Seiten über das Land im allgemeinen und ein paar Fotos gibt es auch aktuelle Nachrichten und eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten aus unterschiedlichen Quellen.
Das Land
Aktuelle Infos
Service
Hartwig Fischer ist Mitglied des deutschen Bundestages. Er ist u.a. ordentliches Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Leiter des Arbeitskreises Afrika der CDU/CSU-Fraktion und Mitglied der Afrika-Parlamentariergruppen. Er hat die DR Kongo bereits mehrfach besucht.
Kongo-Kinshasa (KK): Herr Fischer, wie oft waren Sie schon in der DR Kongo?
H. Fischer: Ich war bereits fünf Mal in der Demokratischen Republik Kongo. Das erste Mal im Jahr 2003 direkt nach dem Artemis-Einsatz. Im April 2004 leitete ich bei meinem zweiten Besuch eine Delegation des Bundestages. Das dritte Mal reiste ich gemeinsam mit Frau Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul im Oktober 2004 in den Kongo. Anläßlich des möglichen Bundeswehreinsatzes im Rahmen der Wahlen im Kongo war ich Ende Januar/Anfang Februar 2006 vor Ort, um mir ein Bild von der damaligen Situation im Kongo zu machen. Auf dieser Reise begleitet mich Frau Anita Schäfer, MdB, Mitglied des Verteidigungsausschusses, die in diesem Ausschuss für die Region Zentralafrika zuständig war. Mein letzter Besuch fand Anfang Mai erneut gemeinsam mit der Bundesministerin Wieczorek-Zeul.statt.
KK: Präsident Joseph Kabila ist seit fast 6 Monaten im Amt. Die Regierung Gizengas ist seit fast 3 Monaten am Ruder. Man sieht aber keine Aktion im Sinne einer Lösung der multiplen Probleme, die sich im Land stellen, seitens der beiden Staatsorgane. Die Folge ist, dass die Bevölkerung unruhig wird. Sie waren vor kurzem mit der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Kongo. Wie ist ihre Meinung in diesem Zusammenhang?
H. Fischer: Während unseres Besuchs haben wir, nicht nur in den Gesprächen mit Premierminister Gizenga und Staatspräsident Kabila, den Eindruck gewonnen, dass die Regierung bemüht ist, die Situation in der DR Kongo zu verbessern. Es gibt klare Ziele bezüglich der Verbesserung der Infrastruktur, dem Ausbau des Bildungswesens sowie dem transparenten Rohstoffabbau. Wir haben festgestellt, dass die Minister, mit denen wir gesprochen haben, im Vergleich zur Übergangsregierung, erheblich professioneller arbeiten. Nichtsdestotrotz steht die Regierung bei ihren Reformbemühungen am Anfang. Es mangelt an einer funktionierenden Administration. Die Aufgaben der Regierung können nicht direkt umgesetzt werden. Es bedarf daher in erster Linie, neben finanzieller Unterstützung, der Hilfe bei der Verbesserung der administeriellen Abläufe. Ein gutes Beispiel ist der "transparente Handel mit Rohstoffen". Es existieren zielgerichtete Unterstützungsprogramme der Weltbank, bei denen Rohstoffe zertifiziert werden müssen, bevor sie auf dem Weltmarkt veräußert werden,
KK: ... Aber die Bevölkerung möchte natürlich gern etwas sehen, das ihr Leben verändert. Von Transparenz hat die Bevölkerung nicht direkt etwas...
H. Fischer: Nein, da stimme ich Ihnen zu. Für die Bevölkerung steht im Vordergrund, dass die Infrastruktur verbessert wird, um Handel treiben zu können. Eine gute Infrastruktur verbessert zudem die Sicherheitslage. Diesen Zusammenhang sieht man zum Beispiel in Bunia: Dort habe ich ein Lager mit 15.000 Flüchtlingen, davon 12.000 Kinder, besichtigt. Im Jahre 2004 wurde mit Hilfe der Welthungerhilfe und in Absprache mit Frau Petronille Vaweka, der Übergangsdistriktskommissarin, mit dem Ausbau der Straßen begonnen. Das Straßenbauprojekt wurde durch die MONUC abgesichert. Nach der Fertigstellung der Straßen kehrten, bis auf 300 Menschen, die sich bei meinem Besuch im Januar/Februar 2006 noch im Flüchtlingslager aufhielten, alle Flüchtlinge in ihre angestammten Gebiete zurück Sie sind in der Lage, sich aus eigener Kraft zu ernähren. Gleichzeitig hat man in der Region Gerichte etabliert, die nicht nur altes Dorfrecht (Gewohnheitsrecht) berücksichtigen, sondern sich auch an die (geschriebenen Rechte) Gesetzgebung des Landes halten. Und bei diesen Gerichten - und da habe ich nicht nur mit den Präsidenten und den Staatsanwälten gesprochen, sondern habe mich auch bei der Bevölkerung informiert - sprechen die Richter jetzt wirklich Recht. Der illegale Rohstoffhandel wird erfolgreich geahndet. Verurteilte können einer Inhaftierung nicht mehr durch Bestechung entgehen. Das sind erste Anzeichen für eine positive Veränderung - vor allem im Osten, in Ituri. In Kivu ist die Lage noch schwieriger. Die Regierung ist jedoch auf dem richtigen Weg. Sie sehen an der deutschen Entwicklung nach der Deutschen Einheit, dass es auch bei Demokratisierungsprozessen in Industrienationen zu Enttäuschungen kommen kann. Es ist wichtig, dass die Bevölkerung - und das haben wir auch mit Präsident Kabila besprochen - durch Symbole merkt, dass es Fortschritte gibt. Präsident Kabila und ich haben zum Beispiel über die Straßenverbindungen bei Kisangani gesprochen, wo die Menschen heute eine Woche brauchen, um von einem Ort nach Kisangani zu kommen. Der Bau von zwei Brücken wurde die Reisezeit halbieren. Es ist daher wichtig, symbolhafte Handlungen, wie den Bau von Brücken, voranzutreiben.
KK: Im März dieses Jahres gab es in der Hauptstadt Kinshasa Kämpfe zwischen einerseits der kongolesischen Armee, der nationalen Polizei und der Republikanischen Garde und andererseits den zum Schutz Bembas abkommandierten Teilen der kongolesischen Armee. Bemba befindet sich jetzt im Ausland in Portugal. Seine Rückkehr ist ungewiss, meinen viele Beobachter der kongolesischen politischen Szene. Das Gesetz über das Statut der Opposition lässt auf sich warten. Wie schätzen Sie die Lage ein?
H. Fischer: Bei unserem Besuch haben wir nicht nur mit Präsident Kabila gesprochen, sondern auch mit den Oppositionellen. Der Generalsekretär der Partei Bembas (MlC) teilte uns mit, dass Herr Bemba das Land aus gesundheitlichen Gründen verlassen hat. Die MIC wird die Opposition ohne Herrn Bemba fortsetzen. Ich habe damals gesagt, dass ich es bedauere, dass Herr Bemba das Land verlässt und die Opposition nicht weiterhin vertritt. Aber es hat sich anders entwickelt, und seine Partei arbeitet jetzt im parlamentarischen Bereich wieder mit. In weiteren Gesprächen, z.B. mit einem Abgeordneten der Regierungskoalition und anderen Regierungsvertretern, haben wir unterstrichen, dass wir kein Verständnis dafür haben, dass es z.B. zu Einschränkungen der Pressefreiheit kommt. Ein erfolgreicher Demokratieprozess bedarf der freien Pressearbeit. In unseren Gesprächen wurden Aspekte angesprochen, die wir so nicht akzeptieren können. Unsere Meinung haben wir unmissverständlich zur Sprache gebracht.
KK: Die Erfahrungen der letzten Zeit haben gezeigt, dass die vor den Wahlen abgeschlossenen Allianzen nicht fest zueinander stehen, fest verbunden sind. Der AMP, also der Alliance pour la Majorité Présidentielle, ist es nicht gelungen, ihren Kandidaten für die Präsidentschaft des Senates durchzusetzen. Die Union pour la Nation ist nach ihrem Boykott der Nationalversammlungsarbeit nicht geschlossen in die Nationalversammlung zurückgekehrt. Vor einigen Tagen hat die RCD, die bis vor kurzem mit der AMP formlos kooperiert hat, erklärt, dass sie nun der Opposition angehört. Einige Stimmen in der DR Kongo sprechen schon von der Implosion dieser Allianzen und sehen die Gefahr einer Destabilisierung der neuen gewählten Institutionen. Glauben Sie, dass diese Allianzen die Legislaturperiode überleben werden?
H. Fischer: Das kann man bei jungen Demokratien nicht vorhersagen. Eigentlich befindet sich der Kongo noch auf dem Weg zu einer Demokratie. Wir haben in unseren Gesprächen deutlich gemacht, dass die Bevölkerung erwarten kann, dass jeder die Rolle, in die er gewählt worden ist, ernst nimmt. Die einzige Chance, langfristig einen Friedensprozess zu erreichen, besteht darin, persönliche Interessen und Parteiinteressen hinten anzustellen und das Interesse der Bevölkerung in den Vordergrund zu rücken. Wir haben die partnerschaftliche Hilfe unserer Stiftungen angeboten, um die neugewählten Abgeordneten bei ihrem Lernprozess über das Funktionieren einer Demokratie zu unterstützen. In den einzelnen Gesprächen wurde immer wieder deutlich, dass es noch alte Grabenkämpfe gibt. Diese müssen im Interesse der Menschen überwunden werden. Wir müssen aber auch die Administration unterstützen. Es muss einfach zu viel auf einmal passieren: Der Aufbau der Polizei, der Justiz, der Armee und die Integration in die Armee. Hinzu kommt das Problem des ungeregelten Haushalts. Die Menschen müssen auch regelmäßig bezahlt werden. Bei all diesen Problemen versuchen wir zu helfen.
KK: Im Osten der DR Kongo herrscht weiter Unsicherheit trotz des zwischen den Vertretern der kongolesischen Nationalarmee und dem ex-General Laurent Nkunda erzielten Arrangements, sprich die Vermischung statt der Eingliederung der Truppen Nkundas. Vor wenigen Tagen drohte Nkunda, seine Truppen wieder zurückzuziehen. Neuerdings ist auch die Rede davon, dass Ruanda eine Vermittlerrolle übernehmen soll. Wieso wird Nkunda, gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt, nicht durch die MONUC außer Gefecht gesetzt, wenn die kongolesische Armee nicht in der Lage ist, das zu erledigen?
H. Fischer: Es ist in den Verträgen festgelegt worden, dass es Aufgabe der kongolesischen Armee ist, zu entwaffnen. Die MONUC hat zugesagt, diese Aktionen mit Logistik zu unterstützen. Die eigentliche Entwaffnung muss jedoch von der kongolesischen Armee durchgeführt werden. Präsident Kabila hat uns im Gespräch gesagt, dass er davon ausgeht, dass das "Problem Laurent Nkunda" bis zum Jahresende erledigt ist, und zwar durch "brassage", nicht durch "mixage". Zur Erläuterung: "mixage" bedeutet, dass die Truppen Nkundas an dem Ort, an dem sie sich befinden mit Truppen aus anderen Teilen der kongolesischen Armee vermischt werden; "brassage" dagegen heißt, Integration in die Armee, aber Stationierung in anderen Landesteilen. Eine "mixage" würde von der Bevölkerung nie akzeptiert werden, da die Truppen Nkundas in dem Gebiet, in dem sie sich jetzt befinden, viele Gräueltaten begangen haben. Für mich gibt es aber keinen Zweifel, dass Laurent Nkunda, genauso wie Joseph Koni von der LRA aus Uganda, vor den internationalen Strafgerichtshof gestellt werden muss. Solche Verbrecher dürfen nicht in einem Friedensprozess freigesprochen werden.
KK: In Bezug auf die Vermittlerrolle Ruandas wird da nicht der Bock zum Gärtner gemacht?
H. Fischer: Ich glaube nicht, dass es zu einer Vermittlerrolle des ruandischen Präsident Kagames kommen wird, weil dies nach meiner Überzeugung und nach allem, was im Osten der DR Kongo in der Vergangenheit geschehen ist, das Vertrauen nicht stärken würde. Andererseits gibt es den "3+1-Prozess". Präsident Kagame (Ruanda), Präsident Nkurunziza (Burundi) und Präsident Museveni (Uganda) treffen sich in unregelmäßigen Abständen mit Präsident Kabila, um den Friedensprozess in der Region der Großen Seen Afrikas insgesamt voranzubringen. Nach meiner Erfahrung hat Präsident Kagame verstanden, dass die Grenze Ostkongos nicht mehr verändert werden kann. Ich glaube, dass er inzwischen weiß, dass die Weltgemeinschaft den Versuch einer Grenzveränderung in diesem Gebiet nicht akzeptieren würde. Ich hatte in den Gesprächen mit ihm auch den Eindruck, dass er inzwischen davon absieht. Bei den Gesprächen mit Präsident Kabila hat sich gezeigt, dass eine neue Vertrauensbasis besteht. Ich schreibe gerade einen Beitrag für ein Buch über die DR Kongo, in dem ich diese Zusammenhänge noch einmal dargelege.
KK: Sie sind vor kurzem als Mitglied einer Regierungs- und Parlamentsdelegation aus der DR Kongo zurückgekommen. Was kann man in Bezug auf den Wiederaufbau Kongos von dieser Reise erwarten? Was sind ihre Eindrücke hinsichtlich der Zukunft des Landes?
H. Fischer: Wenn alle, die im Kongo Verantwortung tragen, bereit sind, ihre persönlichen Interessen dem Interesse des Staates unterzuordnen, dann glaube ich, können wir in 4 bis 5 Jahren sagen, dass sich der gesamte Prozess für die Menschen gelohnt hat. Dazu gehört aber auch, dass die Europäer jetzt sehr koordiniert ihre Unterstützung anbieten. Bei der Unterstützungsarbeit steht die Finanzierung von Projekten im Vordergrund. Ich nenne ihnen einige deutsche Projekte: Mit der KFW werden wir in den Städten der DR Kongo Wasserversorgungsmaßnahmen treffen. Ebenfalls mit der KFW arbeiten wir im Sektor der Reintegration von Flüchtlingen und Ex-Milizionären. Dafür stehen in einem Zeitraum von 3 ½ Jahren insgesamt 19,3 Millionen € zur Verfügung. Mit deutscher Unterstützung wurde in der DR Kongo die ProCredit Bank gegründet, die Mikrokredite von 150 € bis zu 20.000 € vergibt. Sie ist in 1 ½ Jahren zur größten Bank in der DR Kongo geworden. Sie wurde ohne einen Cent Korruption gegründet, und der Staat hat keinen Einfluss auf die Kreditvergabe. Bei dieser Bank können Menschen, die bereits seit einem halben Jahr ein kleines Geschäft betreiben, einen Kredit beantragen. Vor Kreditvergabe wird errechnet, ob das Geschäftsmodell erfolgversprechend ist. Bei einer positiven Prognose kann ein Kredit zwischen 150 € und etwa 10.000 € zur Verfügung gestellt werden. Wird dieser Kredit pünktlich zurückgezahlt, dann kann ein neuer Kredit beantragt werden. Bisher sind die Erfahrungen sehr positiv, 98% der Kredite wurden zurückgezahlt. Unter den Kreditnehmern sind 50% Frauen. Das ist ein sehr gutes Projekt, das auch zu neuen Arbeitsplätzen und zur Weiterbildung führt. Ich habe eine Frau kennen gelernt, die sich Trockenhauben für ihr Friseurgeschäft gekauft hat. Sie hatte einen riesigen Zulauf. Dadurch hat sie gleich zwei weitere Friseurinnen einstellen können. Damit kommen wir vom informellen auch in den formellen Sektor. Der Kongo hat nur 200.000 Steuerzahler und das bei mehr als 50 Millionen Einwohnern. Das heißt, ich muss nicht nur aus den Rohstoffen, die dort sind, Einnahmen für den Haushalt erzielen, sondern auch Leute, die gut verdienen, zur Steuerzahlung heranziehen. Weiter engagieren wir uns mit der KFW im Bereich Umwelt und Rohstoffe und wir haben einen Studien- und Fachkräftefond mit 1 Million € aufgelegt. Mit der GTZ gibt es bereits laufende Projekte, die wir jetzt fortsetzen. Bis 2009 läuft ein Projekt zur Reintegration von Kindersoldaten. Ein Programm Biodiversität und nachhaltige Waldbewirtschaftung läuft bis 2013. Bis 2014 läuft ein Programm zur HIV-Bekämpfung und Stärkung der Gesundheitssysteme mit dem Schwerpunkt Bluttransfusionen. Weiter laufen noch bis 2010 bei der GTZ Wasserversorgungsprojekte und Projekte zur Stärkung der privaten Wirtschaft und der zivilen Gesellschaft. Das heißt also, wir haben klare Vorgaben mit Projektpartnerschaften, die mittelfristig bereits zugesagt sind. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Was im Augenblick besonders wichtig ist, ist, dass wir helfen, die Arbeit der staatlichen Strukturen zu verbessern. Da ist noch ein großer Lernprozess nötig, den wir partnerschaftlich unterstützen wollen, damit nicht der Gedanke aufkommen kann: "Da kommen jetzt neue Kolonialherren, die uns etwas vorschreiben wollen". Sie merken, dass es mir eine Herzensangelegenheit ist, dass es zu einem dauerhaften Frieden in der DR Kongo kommt.
KK: Herr Fischer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Berlin, den 21.05.2007