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Der im Rahmen der Eröffnung der "Märzsitzung" der kongolesischen Nationalversammlung erwartete "politische Tsunami" hat nicht stattgefunden. Und dies, obwohl die Deputierten der Regierungsmehrheit den Amtsverzicht des Präsidenten der Nationalversammlung, Vital Kamerhe, gefordert hatten. Nachdem er aber dieser Forderung nicht nachkam, entschlossen sie sich, der Eröffnung der Parlamentssitzung fern zu bleiben - mit der Folge, dass nur 120 der 500 Mitglieder des Unterhauses des kongolesischen Parlaments zugegen waren.
Es handelt sich hier um ein Novum. Normalerweise ist es die Opposition, die Parlamentssitzungen boykottiert, da sie im voraus weiß, dass sie bei Abstimmungen immer den kürzeren zieht.
Die der "Allianz für die Präsidiale Mehrheit" nahe stehenden Deputierten rechneten damit, dass durch ihre Abwesenheit das Quorum nicht erreicht wird und folglich die Eröffnungssitzung nicht stattfinden kann/darf. Dabei hatten sie vergessen, dass das Quorum, wie der Präsident der Nationalversammlung in seiner Eröffnungsansprache sagte, nicht bei der Eröffnungssitzung Anwendung findet, die nur eine protokollarische Sitzung ist. Das Quorum gilt nur, wenn es um eine Plenarsitzung oder um eine Sitzung der Ausschüsse geht.
Worum geht es überhaupt bei dieser politischen Inszenierung, die seit Wochen in der DR Kongo andauert? Am 20. Januar 2009 sind, wie inzwischen bekannt ist, ruandische Soldaten, ohne Vorankündigung, in die DR Kongo eingezogen, mit dem Ziel, eine gemeinsame Operation mit den Streitkräften der DR Kongo (FARDC) gegen die im Osten des Landes agierenden Hutu-Milizen (FDLR) auszuführen. Einen Tag später, genau am 21.01.09, hatte der Präsident der kongolesischen Nationalversammlung, Vital Kamerhe, in einem Interview mit Radio Okapi erklärt, dass weder er noch sein Haus über diese gemeinsame Operation, die Zahl der in Kongo einmarschierten ruandischen Soldaten und das dieser Operation zugrunde liegende Abkommen informiert waren. Er fügte hinzu: "Wenn das der Fall ist, ist das schlimm". Er bezog sich hier auf die traumatisierte Meinung seiner im Osten des Landes lebenden Landsleute, deren durch die ruandischen Soldaten verursachte körperlichen und psychischen Verletzungen der letzten Jahren noch nicht vernarbt sind.
Nicht informiert waren auch der Senat, die Regierung und der Oberbefehlshaber der kongolesischen Armee, geschweige denn das kongolesische Volk.
Infolge dieser Geheimniskrämerei hatte eine Gruppe von Deputierten aller politischer Richtungen, man spricht von 262 Volksvertretern, in einer Petition auf die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung der Nationalversammlung gedrungen. Einer außerordentlichen Sitzung, bei der die Regierung Auskunft geben sollte, über das Abkommen, auf dem die Präsenz der ruandischen Truppen in der DR Kongo beruht, und über die Zahl der im Osten des Landes weilenden ruandischen Soldaten. Dies galt auch für die ugandischen und süd-sudanesischen Soldaten, die seit dem 15. Dezember 2008 in der Provinz Orientale die ugandischen Milizen der LRA ("Lord's Resistance Army") jagen, die dort seit 2 Jahrzehnten Terror verbreiten.
Vor dem Parlament erscheinen sollte der Petition zufolge die Regierung und nicht der Staatspräsident, der nach der Verfassung dem Parlament nicht rechenschaftspflichtig ist.
Für die dem Präsidenten Kabila nahe stehenden "Allianz für die Präsidiale Mehrheit" ("AMP") und die Volkspartei für den Wiederaufbau und für die Demokratie ("PPRD") ist Vital Kamerhe der Initiator dieser Petition, und dies kommt einem Hochverratsverbrechen ihrer "moralischen Autorität", sprich dem Staatspräsidenten gegenüber, gleich. Daher sollte er aus dem Amt ausscheiden.
Um sich ihrer politischen Verantwortung zu entziehen, versucht die Regierung, sich hinter dem Staatspräsidenten zu verstecken", so Vital Kamerhe in seiner Eröffnungsrede.
Bezüglich seiner bisher noch nicht erfolgten Amtsniederlegung, im Gegensatz zu 5 der 7 Mitglieder des Vorstandes der Nationalversammlung, die dem Befehl der "Allianz für die Präsidiale Mehrheit" zum Verlassen des Vorstandes gefolgt waren, hat V. Kamerhe, in seiner Ansprache bei der Eröffnung der "Märzsitzung" des Unterhauses des kongolesischen Parlaments, erklärt, dass er dazu bereit ist, aber nur unter der Bedingung, dass die Verfassung und die Geschäftsordnung der Nationalversammlung respektiert werden.
Demzufolge wird er demnächst ein Treffen der Präsidenten der parlamentarischen Gruppen in der Nationalversammlung einberufen, das u.a. zur Aufgabe hat, die Tagesordnungspunkte der Plenarsitzung festzulegen und sich in dem uns hier beschäftigenden Fall über seinen Rücktritt und den anderer Mitglieder des Nationalversammlungsvorstandes zu befinden.
Er fügte hinzu, dass seine Weigerung, außerhalb der Plenarsitzung zurückzutreten, kein "Akt der Undisziplin" gegenüber der Hierarchie seiner politischen Familie darstellt, sondern durch die Sorge um das Festhalten an Buchstaben und der Geist der Verfassung und die Bewahrung der Demokratie in unserem Land diktiert wird, für die das Volk gekämpft hat".
So wird er die Frage nach seinem Rucktritt und der Erneuerung des Vorstands der Nationalversammlung in die Liste der durch die nächste Konferenz der Vorsitzenden der parlamentarischen Gruppen zu behandelnden Themen schreiben, bevor sie im Plenum gemäß der Verfassung und der Geschäftsordnung erörtert wird.
Wie kommt es, dass in einer Republik, in der das "imperative Mandat" für die Volksvertreter keine Anwendung findet, die "Allianz für die Präsidiale Mehrheit", also ein privater Zusammenschluss mehrerer politischer Parteien, ihre Mitglieder zum Rucktritt aus einer Institution, deren Mitglieder durch das Volk gewählt wurden, zwingen will? In seiner Eröffnungsrede hatte sich V. Kamerhe gerade auf die Nichtexistenz des "imperativen Mandats" bezogen, um die Forderung seiner politischen Familie nicht zu befolgen.
Wie erst jetzt bekannt wurde, haben die Deputierten aus der "Allianz für die Präsidiale Mehrheit" entschieden, sowohl an der Konferenz der Vorsitzenden der parlamentarischen Gruppen als auch an de Plenarsitzung teilzunehmen. Sie haben auch vor, einen Misstrauensantrag gegen den Präsidenten der Nationalversammlung zu stellen. Einen Misstrauensantrag, auf dessen Erfolg mit Interesse gewartet wird. Es wird darüber in geheimer Abstimmung entschieden. Die Volatilität und die Unbeständigkeit der kongolesischen Politiker sind bekannt und legendär. Erinnert werden soll hier an die Wahl des Senatsvorsitzenden. Entgegen den Erwartungen wurde nicht der Kandidat der "Allianz für die Präsidiale Mehrheit", die über eine solide Mehrheit im Senat (mehr als 60 Senatoren von insgesamt 108 Sitzen) verfügt, gewählt. Präsident des kongolesischen Oberhauses wurde Kengo wa Dodo, der sich als "Unabhängiger" zur Wahl gestellt hatte.
Gefragt zu dem Fall Vital Kamerhes bei seiner letzten Presskonferenz im Osten des Landes, hat Präsident J. Kabila geantwortet: "personne n'est irremplacable" (frei übersetzt: "kein Mensch ist unersetzbar"). Die in diesem Zusammenhang zu stellende Frage ist, ob diese Aussage, gemäß der Lebensweisheit "die Regierenden gehen, die Institutionen bestehen weiter", auch ihn betrifft.
Hervorzuheben ist, dass der noch amtierende Präsident des Unterhauses des kongolesischen Parlaments, Vital Kamerhe, den beiden Treffen vorstehen wird.
Aus der Eröffnungssitzung der Nationalversammlung vom 16.03.2009 drängen sich folgende Fragen auf:
Es liegt nahe festzustellen, dass die 2. Republik langsam aber sicher wieder im Kommen ist. Wie die Angelsachsen sagen: "wait and see".
Berlin, den 20.03.2009