archiv.kongo-kinshasa.de ist eine Informationssite über die Demokratische Republik Kongo: Neben Seiten über das Land im allgemeinen und ein paar Fotos gibt es auch aktuelle Nachrichten und eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten aus unterschiedlichen Quellen.
Das Land
Aktuelle Infos
Service
Von der Existenz des Romans mit dem Titel "Stanleyville" habe ich von einer Landsfrau erfahren, von der ich auch ein Exemplar zur Lektüre bekam. Bevor ich aber mit dem Lesen begann, habe ich mich immer wieder gefragt, wie der Autor zu dem Titel "Stanleyville" gekommen ist.
Genannt nach dem Reisenden Henry Morton Stanley1 war "Stanleyville" und ist Kisangani, heute, der Name der Hauptstadt der Orientalprovinz in der DR Kongo. "Stanleyville" war die politische Hochburg des in 1961 ermordeten kongolesischen Premierministers Patrice-Emery Lumumba und ist in die Geschichte des Landes als Märtyrerstadt bzw. gequälte Stadt eingegangen. Denn: 1964 wurde die lumumbistische Bewegung, die in "Stanleyville" eine Regierung gegründet und die Volksrepublik von Kongo ausgerufen hatte, durch die belgischen Truppen ("Ommegang"- und "Dragon rouge"-Operationen) mit logistischer Unterstützung aus den USA niedergeschlagen. Hierüber ist auch in dem Roman kurz zu lesen. 2002 fanden dreimal bewaffnete Zusammenstöße zwischen den ruandischen und ugandischen Truppen in Kisangani statt. Dabei ging es um die Kontrolle der Naturressourcen (Diamanten, Gold, Edelhölzer...), die in dieser Provinz reichlich vorkommen.
In diesem Jahr jährt sich zum 50. Mal die Niederschlagung der lumumbistischen Bewegung. Mit anderen Worten: Das Buch von Richard Hayer ist für die Kenner der kongolesischen Geschichte zum richtigen Moment gekommen, obwohl es nur en passant diese Periode der bewegten, unruhigen Geschichte der DR Kongo erwähnt. Dies erklärt auch die Neugier, mit der ich das Buch gelesen habe.
In dem Roman "Stanleyville" beschreibt Richard Hayer die Geschichte der belgischen Ärztin Kim Lacquemont, die 1960 in Stanleyville geboren wurde, und deren Eltern, die in der Hauptstadt der Orientalprovinz als Wissenschaftler gearbeitet haben. Während des Aufstands der Lumumba-Anhänger wurde die Familie durch die Simba ("Löwe")-Kombattanten oder Mai-Mai-Kombattanten2 in Geiselhaft genommen. Das vierjährige Kind hatte den Aufstand mit seinen brutalen Folgen miterlebt. Dabei verschwand ihr Vater spurlos. Infolge der Intervention der oben erwähnten belgischen Truppen konnten Kim und ihre Mutter befreit werden und nach Belgien zurückkehren.
In den 80er und 90er verschwand in Belgien eine große Zahl von jungen Mädchen. Der "Fall Dutroux" mag hier stellvertretend für viele genannt werden. Im Anschluss an die Geburtstagfeier mit ihrer Nichte Caline wachte Kim auf und bemerkte, dass ihre Nichte nicht da ist. Sie tauchte auch im Laufe des Tages nicht auf und verpasst dadurch ihre eigene Abiturfeier. Die Erlebnisse von Kim als Kind im Kongo wurden plötzlich wach. Sie suchte ihre Nichte im Tervuren-Museum und in verschiedenen afrikanischen Geschäften in "Matonge", ein in Brüssel von Afrikanern und vor allem Kongolesen besuchter Stadtteil der belgischen Hauptstadt. Vergeblich. Sie entschließt sich nach Kongo, in die Region, wo sie geboren wurde und ihre Eltern gearbeitet hatten, zu reisen. Zusammen mit einer männlichen Bekanntschaft reist sie in den Urwald. Dort blieb die Suche nach ihrer Nichte ebenso erfolglos. Ihr gesamter Aufenthalt im Kongo verlief recht abenteuerlich, da in der Region wieder eine neue Rebellion mit verschiedenen Akteuren im Gang ist. Ohne auf die Details einzugehen, lässt der Autor Kim nach Belgien zurückzukehren.
Die Verbindung zwischen Brüssel, wo die Handlung beginnt, und Afrika bleibt lange unklar. Insbesondere kann man sich nicht vorstellen, welche Verbindung zwischen der damals vierjährigen Kim und dem Kongo, den sie im Jahr 1964 in diesem Alter verließ, bestehen soll.
Abgesehen davon ist der Roman von Anfang an spannend, und man mag ihn nicht aus der Hand legen. Der Autor bezieht sich, wie er im Nachwort meint, auch auf "Bücher und Filme, die sich mit historischen, politischen, geografischen, biologischen, agrarbiologischen, medizinischen und kriminalistischen Themen" beschäftigen. Daher kann man, ohne zu übertreiben, von dem "enzyklopädischen" Charakter dieses Romans sprechen.
Überdies werden in dem Roman aktuelle Themen wie z.B. die Arbeit von Pharmafirmen, die ihre Entscheidungen unter rein wirtschaftlichen Aspekten treffen, angesprochen.
Interessant sind auch Ausführungen über die Wirkung eines "Ndoki" . Danach wird jeder Schicksalsschlag von einer Person, die nah oder weit entfernt sein kann, verursacht. Da diese Person dann als Quelle des Problems ausgeschaltet werden muss, möchte man wahrlich kein Ndoki sein.
Ob es heute noch politisch korrekt ist, von "Stämmen" zu sprechen, bleibt dahingestellt.
Nach der ganzen Spannung im Verlaufe des Romans wird die Leserin und der Leser mit einem "Happy End" - auch wenn es sich dabei nur um einen Einzelfall, nämlich dem Wiederauftauchen von Kims Nichte, mit dem eigentlich nicht mehr zu rechnen war -, belohnt.
Fussnoten:
1 In England geboren, aber in den USA aufgewachsen, war Henry Morton Stanley (1841-1904) Reporter beim "New York Herald". Er gehörte einer Expedition an, der es 1870 auf der Suche nach dem verschollenen britischen Missionar und Forscher, David Livingstone (1813-1873), gelang, den Kongofluss bis zu seiner Trichtermündung hinabzufahren. Tatsächlich traf H. M. Stanley Livingstone am 10. August 1872 in Udjidji am Tanganyika-See. Ab 1878 trat H. M. Stanley in die Dienste des belgischen Königs Léopold II., der unter dem Vorwand der "Erforschung und Zivilisierung" des Kontinents verschiedene Organisationen (Internationale Afrika Gesellschaft, Studienkomitee für den Oberkongo, Internationale Kongo Gesellschaft) gegründet hatte. Realiter aber ging es dem belgischen Monarchen vor allem darum, seine Kolonialaspirationen zu realisieren und eine breitere Handelsbasis für sein Land zu schaffen. "Mit Hilfe von Überredungskunst und Feuerwaffen" gelang es H. M. Stanley, 400 höchst fragwürdige Verträge mit verschiedenen Stammesfürsten abzuschließen und etwa 40 Handelsposten einzurichten".
2 "Mai-Mai-Kombattanten" waren und sind, wie z.B. Siegfried in der Nibelungensage, der festen Überzeugung, dass sie nach dem Bad mit Zauberwasser (Mai: Wasser in verschiedenen kongolesischen Sprachen) unverwundbar, immun gegen die Schüsse sind.
Stanleyville (bei Amazon)
von Richard Hayer
Gebundene Ausgabe - 416 Seiten - VAT Verlag André Thiele
Erscheinungsdatum: Oktober 2013
Preis: EUR 19,90