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3.5.2008 taz Nr. 8570 Themen des Tages 257 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 5
Im Afrika der Großen Seen sieht man, warum und wo es Hungerkrisen gibt: im Kongo die von Bürgerkriegen hinterlassene Öde, in Ruanda die Produktivität einer stabilen Bauernschaft. Die Herausforderungen der Region lauten nun: Aufbau von Infrastruktur und Förderung des Handels
AUS GOMA UND GISENYI DOMINIC JOHNSON
Zwischen den grünen Hügeln planieren große, gelbe Baumaschinen die Erde, Scharen kleiner Kinder beäugen neugierig die Bagger. Die Arbeiten der deutschen Baufirma Strabag zum Ausbau der Überlandstraße zwischen Gisenyi und Ruhengeri in Ruanda sind ein Zeichen der Modernisierung im Schatten der mächtigen erloschenen Vulkane, die im Nordwesten Ruandas die Grenze zur Demokratischen Republik Kongo bilden. Vor zehn Jahren lebten hier noch hunderttausende Kriegsvertriebene in Camps. Heute sind aus Elendssiedlungen Dörfer geworden, deren Märkte überquellen vor Bohnen, Karotten, Kartoffeln, Maniok und Kochbananen. Die steilen grünen Hügel rings herum sind bis auf den letzten Quadratmeter terrassenförmig bebaut.
Ruanda und dahinter Ostkongo und Burundi liegen am Ende dieser einzigen Überlandstraße, die quer durch Ostafrika führt: vom kenianischen Hafen Mombasa am Indischen Ozean über Uganda in die ruandische Hauptstadt Kigali und weiter in die Nachbarländer. Fußgänger und Radfahrer teilen sich den Asphalt über weite Strecken mit Kleinbussen, Lkws und riesigen Benzintanklastwagen. Es ist Afrikas dichtestbefahrene Überlandstraße und auch die teuerste und langsamste, mit drei zeitraubenden Grenzüberquerungen auf den 1.900 Kilometern von Mombasa ins kongolesische Goma und 12 Tagen Reisezeit für einen Lastwagen.
Das Afrika der Großen Seen, eben Ruanda, Burundi, Ostkongo und Süduganda, ist die dichtestbesiedelte ländliche Region Afrikas mit 50 Millionen Einwohnern auf der Fläche Deutschlands, 90 Prozent davon Bauern. Sie alle sind für den Außenhandel von dieser einzigen Fernstraße in den Hafen Mombasa in Kenia abhängig. Ostafrika brauchte zusätzliche Routen durch Tansania, Eisenbahnlinien, dazu das Entfallen von Zollformalitäten und die schnellere Abfertigung an den Grenzen. Das ist das erklärte Ziel der neuen Regionalgemeinschaft East African Community (EAC), der Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi angehören - ein 120 Millionen Einwohner zählender Wirtschaftsraum mit einem Bruttosozialprodukt von derzeit nur 44 Milliarden Dollar jährlich und einem extrem niedrigen Elektrifizierungsgrad von unter 10 Prozent.
Ob das gelingt, wird darüber entscheiden, ob aus den dicht besiedelten Hügeln der Region der Großen Seen Afrikas das nächste Hungergebiet wird - oder eine Boomregion. Wenn die Märkte Ostafrikas integriert wären, könnten produktive Regionen ihre Nachbarn einfacher versorgen, und die Preise würden fallen, statt dass sich hinter Zollgrenzen Hunger ausbreitet wie jetzt. Auch der Osten des Kongo müsste daran teilnehmen, forderten ostkongolesische Politiker letzten Monat auf einem Seminar des Pole Institute in Kongos Grenzstadt Goma.
Ruanda zeigt, dass eine starke Bevölkerung kein Hindernis sein muss für eine produktive Landwirtschaft. Im Gegenteil: Nur wegen extrem hoher Bevölkerungsdichten gibt es genug Arbeitskräfte im ländlichen Raum, um jeden Quadratmeter nutzen und Überschüsse erwirtschaften zu können. Augenfällig ist der Kontrast zum Kongo: Direkt hinter der Grenze liegen die fruchtbaren Hügel größtenteils brach, nur wenige Felder werden von den wenigen Menschen bebaut, die nach 15 Jahren brutalem Krieg noch auf dem Land leben, wo Milizen wüten und es keine Gesundheitsversorgung gibt.
Die Grenze zwischen Uganda beziehungsweise Ruanda und Kongo ist eine aus der Luft eindeutig sichtbare Grenze zwischen Ackerland und Busch. Das eigentlich sehr fruchtbare Ostkongo ist von internationaler Hilfe abhängig, während sich die viel kleineren Nachbarländer zunehmend selbst versorgen und Lebensmittel exportieren.
Steigende Agrarpreise sind jetzt noch für die Verbraucher in Ostkongos hungrigen Städten ein Todesurteil, aber für die Bauern Ruandas und Uganda sollten sie ein Grund zur Freude sein, finden die Regierungen dieser beiden Länder. Ugandas Präsident Yoweri Museveni erklärte seinen Bürgern in seiner Rede zum 1. Mai in seinem typisch flapsigen Stil: "Die Preiserhöhungen sind gut für uns, und statt euch in Radio-Talkshows zu beschweren, solltet ihr lieber im Garten arbeiten." Ruandas Präsident Paul Kagame sagte letzte Woche in Berlin: "Es geht uns besser als je zuvor. Historisch hatte Ruanda immer Lebensmittelknappheiten. Erst jetzt können wir sagen, dass ein großer Prozentsatz unserer Bevölkerung sich selbst ernährt."
Die globalen Preissteigerungen nutzen Ruandas einheimischer Produktion, meldete das regionale Agrarhandelsnetzwerk Ratin letzte Woche - die Großhandelspreise für importierten Mais und Reis seien in Ruanda höher als sonst in Ostafrika, für Bohnen aber, die im Land wachsen, sei Ruanda am billigsten. Andererseits ist man Benzin und andere Treibstoffen komplett auf Importe angewiesen, der Ölpreis ist auf Rekordniveau. Die Unruhen in Kenia Anfang dieses Jahres pünktlich zur Aussaat dürften zu einer Missernte führen. Die Preise für Mais und Bohnen ziehen spekulationsbedingt stark an - sie liegen jetzt über ein Drittel höher als vor zwei Jahren. Tansania verhängte im März ein Exportverbot für Mais.
Am schwersten betroffen ist Burundi, das ganz am Ende der Handelsrouten liegt und sich gerade von einem verheerenden Bürgerkrieg erholt, der seine Landwirtschaft verwüstet hat. Burundis Bevölkerung ist heute um 34 Prozent größer als vor Kriegsbeginn 1993, die Bohnenernte aber ist im gleichen Zeitraum um 35 Prozent geringer geworden. Bohnen, Maniokmehl und Süßkartoffeln - die drei wichtigsten Grundnahrungsmittel - verteuern sich seit 2004 jährlich um 31 Prozent, so die UNO. "Radikale Maßnahmen sind nötig, vor allem groß angelegte Programme zur Förderung der Agrarproduktion", fordert Libérat Mfumukeko von der UN-Agrarorganisation FAO.
Burundi zeigt, dass die aktuelle Krise nicht wirklich überraschend kommt. Auch Gegenmaßnahmen sind daher struktureller Natur. Ruanda sieht sich als Vorreiter einer erzwungenen ländlichen Modernisierung: Grundstücke, die kleiner sind als 5 Hektar, dürfen beim Vererben nicht weiter unterteilt werden; Viehzucht und Ackerbau, die sich in der Landnutzung Konkurrenz machen, sollen miteinander verzahnt werden, etwa indem jeder Bauernhaushalt eine Kuh hält. Langfristig will Ruandas Regierung den Bauern vorschreiben, was sie anbauen, sagt Agrarminister Christophe Bazivamo: "Landnutzung muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gegründet sein, nicht auf Einzelentscheidungen."
Vertrauen in seine Kleinbauern scheint Ruandas Regierung wenig zu haben. Das Dilemma der gesamten Region ist, dass der Platz bald nicht mehr ausreichen wird. Ruandas Antwort ist Exportorientierung und Einbindung der Kleinbauern in Kooperativen. Vor zwei Wochen aber wies Ruandas Senat darauf hin, dass Bauernkooperativen eher ein Schritt zur Entmündigung einzelner Kleinbauern sein können. Sie erheben hohe Steuern und setzen Produzentenpreise einseitig fest, und modernes Saatgut und Düngemittel bleiben zuweilen Eigentum der Kooperativen, nicht der Bauern, kritisierte der Senat in einem Bericht.
Die richtige Antwort darauf, wie die Bauern im Afrika der Großen Seen mehr produzieren sollen, ist also noch nicht gefunden. Letztlich kann nur das Ankurbeln des regionalen Handels die Region retten. Erst wenn die Transportkosten deutlich sinken, werden Importwaren billiger und können die Bauern ihre Ernten konkurrenzfähiger verkaufen. Jedes Land ist auf die Infrastruktur das Nachbarn angewiesen. So wie es Strabag in Ruanda vormacht, so, fordern Experten, muss jetzt in ganz Ostafrika Kapital in die Infrastruktur fließen.