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14.11.2008 taz Nr. 8735 Themen des Tages 132 Zeilen, DOMINIC JOHNSON S. 2
Nicht nur die Kämpfe zwischen den Rebellen von Laurent Nkunda und Kongos Regierungsarmee, auch andere Konflikte treiben hunderttausende Menschen in die Flucht. Sie werden kaum versorgt, dafür aber von Kriegstreibern radikalisiert
VON DOMINIC JOHNSON
Die Kämpfe verlagern sich, das Elend bleibt. Rund um die von Rebellen eingekesselte ostkongolesische Provinzhauptstadt Goma sind die Fronten zwischen Kongos Regierungsarmee und der Rebellenbewegung CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) unter Laurent Nkunda relativ ruhig geworden. Dafür sind Nkundas Rebellen anderswo auf dem Vormarsch. Und in immer neuen Gebieten sind Menschen auf der Flucht.
Gestern standen die CNDP-Rebellen kurz vor dem Einmarsch in die bislang friedliche Nordhälfte der Provinz Nord-Kivu, die von den Handelsstädten Beni und Butembo aus ihre Geschicke weitgehend unabhängig von Goma regelt. Nkundas Kämpfer waren an den Rand der Gebirgsstadt Kanyabayonga vorgedrungen. Deren Einnahme würde ihnen einen Brückenkopf in diesem vom Rest der Provinz durch steile Berghänge getrennten Gebiet bieten. Zuvor hatten Regierungssoldaten beim Rückzug hemmungslos geplündert. Mehrere zehntausend Menschen befanden sich auf der Flucht Richtung Norden. Nord-Kivu zählt rund 1,2 Millionen Kriegsvertriebene.
Dramatisch ist die Lage auch an zwei anderen Stellen: an der Grenze zu Uganda, wo täglich tausende Flüchtlinge aus dem neu eroberten Rebellengebiet eintreffen, sowie an der Südgrenze der Provinz Nord-Kivu, wo lokale Milizen die Menschen terrorisieren. Im Ort Minova an der Grenze zwischen Nord- und Süd-Kivu am Kivu-See leben nach UN-Angaben rund 70.000 Vertriebene. Hier breitet sich Cholera rapide aus.
Das Elend der Flüchtlinge, die oft tagelang ohne Versorgung im Regen kampieren, macht sie zur leichten Beute für Kriegstreiber. "Innerhalb der Camps bilden junge Männer zahlreiche Milizen", berichtet das Hilfswerk Heal Africa, das in Goma Opfer sexueller Gewalt betreut. "Diese können unter Umständen eine schützende Funktion übernehmen, oft sind sie es aber selbst, die andere Flüchtlinge terrorisieren." Erleichtert wird dies durch den schwindenden sozialen Zusammenhalt: "Familienmitglieder werden durch Krankheit, Verschleppung und Tod auseinandergerissen, das soziale Gefüge wird durch die Vergewaltigungen von Frauen und andere Formen der Gewalt zerstört."
Während sich die internationale Aufmerksamkeit auf Nord-Kivu konzentriert, ist die Situation weiter nördlich ebenso dramatisch. Im Distrikt Ituri, nördlich von Nord-Kivu an der Grenze zu Uganda, haben Kämpfe zwischen Armee und diversen Milizen über 100.000 Menschen in die Flucht getrieben.
Und noch weiter nördlich, im Distrikt Haut-Uélé an der Grenze zum Sudan, hat die aus Uganda und Südsudan in den Kongo geflohene Rebellenbewegung LRA (Widerstandsarmee des Herrn) weite Landstriche unbewohnbar gemacht (siehe Karte). Wie früher in Uganda überfallen hier die von Sudans Arme ausgerüsteten LRA-Kämpfer Dörfer und verschleppen Frauen und Kinder als Rekruten und Sklaven. Mangels Schutz durch die Armee hat die Bevölkerung Selbstverteidigungsmilizen gebildet. Rund 75.000 Menschen sind auf der Flucht; laut UNO sind etwa 10.000 Quadratkilometer komplett entvölkert.
"Unsicherheit ist das größte Hindernis bei der Versorgung der Menschen", erklärte am Mittwoch das UN-Welternährungsprogramm WFP, das seit gestern die Arbeit in den Rebellengebieten Nord-Kivus wieder aufgenommen hat. Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärt: "Wegen ständiger Unsicherheit sind Leben und Gesundheit der Bevölkerungen bedroht - durch Mangel an sanitären Anlagen, genießbarem Wasser, Lebensmitteln, Gesundheitsversorgung und durch eine mögliche Ausbreitung von Cholera." Die UN-Hilfswerke richten jetzt aus Kongos ferner Hauptstadt Kinshasa oder aus Uganda Luftbrücken nach Goma und Versorgungskorridore in die Kampfgebiete ein.