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6.6.2016, Dominic Johnson
Aus dem deutschen Asyl heraus befehligte Ignace Murwanashyaka seine Truppen im Kongo. Die Behörden merkten lange nichts.
BERLIN taz | „Deutschland duldet Terrorchef“, titelte die taz am 23. April 2008. Es ging um Ignace Murwanashyaka, politischer Flüchtling aus Ruanda in Mannheim und zugleich Präsident einer bewaffneten Organisation mitten in Afrika, in der sich die ehemaligen Täter des Völkermords an den Tutsi neu gruppiert hatten.
Die „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) hatten sich im benachbarten Kongo niedergelassen und terrorisierten dort die Zivilbevölkerung. Der taz-Bericht prangerte an, dass Murwanashyaka die Geschäfte dieser äußerst gewalttätigen Miliz im Ostkongo unbehelligt von Deutschland aus führen konnte, obwohl er seit Jahren mit scharfen UN-Sanktionen belegt war.
Anderthalb Jahre später, am 17. November 2009, wurde Ignace Murwanashyaka im Morgengrauen verhaftet. Und am 28. September 2015 verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart den Ruander als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber Murwanashyaka sitzt im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim, mittlerweile im siebten Jahr.
Das alles hat sehr lange gedauert – und es hätte nie so weit kommen dürfen. Man kann der taz schlecht vorwerfen, dass sie dereinst als erste Zeitung in Deutschland etwas thematisierte, was in Ruanda und Kongo selbst sowie bei der UNO schon lange bekannt war und für Empörung sorgte. Aber erst nach der taz nahmen sich in Deutschland auch andere Medien des Themas an, der Generalbundesanwalt nahm verdeckte Ermittlungen auf.
Die Mühlen der Justiz mahlten bereits im Verborgenen, als im Frühjahr 2009 die FDLR erstmals Ziel wirksamer Militärschläge der kongolesischen und ruandischen Armeen wurde, ihre beiden Hauptquartiere im ostkongolesischen Dschungel verlor und aus Rache die lokale Bevölkerung mit einem Terrorfeldzug überzog: Jede Woche brannten damals im Ostkongo Dörfer, Menschen wurden in ihren Hütten grausam abgeschlachtet, Hunderttausende mussten fliehen.
Es waren diese Verbrechen, die die FDLR-Führung in Deutschland letztendlich vor Gericht brachten. Noch vor Prozessbeginn enthüllten weitere Detailrecherchen in der taz das Ausmaß der Verstrickung der Angeklagten in diese Kriegsverbrechen.
Eine der brutalsten Kriegsparteien in einem der grausamsten Kriegsgebiete der Welt siedelte also ihre politische Spitze in Deutschland an, und diese konnte von hier aus entgegen allen UN-Sanktionen oder deutschen Behördenauflagen ihre Ämter ausüben. Der deutschen Öffentlichkeit ist das alles bis heute weitgehend unbekannt, und politische Konsequenzen werden aus dem Skandal schon gar nicht gezogen.
D ie deutsche Fähigkeit, vor unliebsamen Phänomen in der eigenen Gesellschaft beide Augen zuzudrücken, ist spätestens seit der Entdeckung der rechtsextremen Terrorzelle NSU ein politisches Problem von höchster Brisanz. Im Falle der FDLR geht es nicht um terroristische Morde in der Bundesrepublik, sondern um die Instrumentalisierung Deutschlands als Quelle politischer Legitimität für eine der brutalsten bewaffneten Gruppen Afrikas.
Es geht darum, dass die wichtigsten Völkermordtäter Ruandas, nachdem sie in den Kongo geflohen waren und sich dort ein neues politisches Gesicht in Form der FDLR zulegten, Deutschland als ihr europäisches Gastland Nummer eins auswählten. Indem ihr Präsident in Deutschland weilte und von dort aus regierte, gewannen die Kämpfer im Kongo die Gewissheit, international anerkannt zu sein und unterstützt zu werden.
Die FDLR wurde formell am 1. Mai 2000 auf einem Kongress im Kongo gegründet, mit dem Segen der dortigen Regierung. Rechtzeitig davor beantragte der als ihr außenpolitischer Vertreter designierte Ignace Murwanashyaka, seit den 1980er Jahren Student in Deutschland und politisch aktiv, im Februar 2000 politisches Asyl in der Bundesrepublik. Er erhielt – rekordverdächtig schnell – schon im März den begehrten Status als politischer Flüchtling und im April einen deutschen Reisepass, alles von denselben deutschen Behörden, die erst sechs Jahre vorher die meisten Asylanträge von vor dem Völkermord fliehenden Tutsi aus Ruanda abgelehnt hatten, weil deren kollektive Tötung keine individuelle politische Verfolgung darstelle.
2001 stieg Murwanashyaka zum Präsidenten der FDLR auf. Die Miliz begann alsbald, sich im rechtsfreien Raum der Wälder Ostkongos mit Waffengewalt und Terror einen Staat im Staate aufzubauen – als Vorstufe zur als „gottgewollt“ bezeichneten Rückeroberung Ruandas für die Hutu. Zu seinem Stellvertreter erkor Murwanashyaka einen ebenfalls im deutschen Exil lebenden alten Freund: Straton Musoni, der FDLR-Vizepräsident wurde, während er in Baden-Württemberg Computer wartete – zeitweise ausgerechnet im Stuttgarter Justizministerium.
Deutschland war nicht nur politisches Asylland der FDLR, sondern auch ihr militärisches Vorbild. Während Präsident Murwanashyaka als höchster politischer Führer in Deutschland weilte, anerkannt als Flüchtling mit deutschem Pass, war der höchste Militärführer der FDLR im Kongo ein einst an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ausgebildeter ruandischer Offizier: General Sylvestre Mudacumura, während des Völkermords von 1994 Mitglied der besonders stark in die Massaker verwickelten Präsidialgarde.
Mudacumura übt sein Amt bis heute aus. Beim Frühappell begrüßt er seine Milizionäre gern mit einem gebrüllten „Guten Morgen!“. Es ist ihm gelungen, ruandischen Urwaldkämpfern bei der Bundeswehr gelernte deutschen Tugenden einzutrichtern.
Zu ihren Blütezeiten pflegte die FDLR – einzigartig in den Wirren des Kongo – eine vom großen deutschen Vorbild abgeguckte Bürokratie. Sie etablierte Regeln für das Archivieren von Funksprüchen, das Abführen von Plündereinnahmen, für Fronturlaub und Eheschließungen, mit in Baden-Württemberg auf Bestellung gefertigten amtlichen Stempeln, alles überwacht vom Präsidenten in Deutschland, der die Kämpfer im Kongo zu Disziplin und Gottesfurcht ermahnte.
Die zutiefst christliche, nationalistische und rassistische FDLR verehrte die deutsche Wehrmacht und gab ihren Offizieren Kriegsnamen wie „Rommel“; sie bejubelte den Wahlsieg der Christdemokratin Angela Merkel im Jahr 2005, unterstützte wahlweise Bayern München oder den VfB Stuttgart und verbreitete ihre kruden Pamphlete und Erklärungen immer auch in deutscher Sprache.
Muss es nicht zu denken geben, mit was für einem Deutschlandbild da im Herzen Afrikas hantiert worden ist und wofür es diente? Gerade die Äußerungen „Präsident“ Murwanashyakas vom deutschen Exil aus, die während des Stuttgarter Gerichtsverfahrens öffentlich wurden, zeugen von einem schon fast größenwahnsinnigen Sendungsbewusstsein der FDLR: Die Miliz stellt sich als Träger eines göttlichen Plans dar und hält damit ihre eigenen Kämpfer und Kader zu absolutem Gehorsam an – während sie zugleich eine grenzenlose Bereitschaft zu extremer Gewalt an den Tag legt. Und sie ging davon aus, die Welt stehe auf ihrer Seite.
Vor diesen Tatsachen verschlossen deutsche Behörden jahrelang die Augen. Öffneten sie sie für einen Moment, dann schreckten sie vor Konsequenzen zurück. Ermittlungen wurden aufgenommen und wieder eingestellt; Asyl aberkannt und dann der Einspruch dagegen jahrelang aufrechterhalten; Auslieferungsbegehren aus Ruanda abgewiesen.
Seinen Status als politischer Flüchtling verlor Murwanashyaka erst, als er schon im Gefängnis saß. Noch 2008 konnten deutsche Bundestagsabgeordnete in den Kongo reisen und sich dort blamieren, weil sie nicht wussten, dass der FDLR-Führer in Deutschland lebt. Dies miterlebt zu haben war der unmittelbare Anlass für die taz-Schlagzeile vom 23. April 2008.
Nun sitzt Murwanashyaka in deutscher Haft. Ein erstes Urteil ist gefallen, die juristische Aufarbeitung hat begonnen. Aber eine politische Aufarbeitung der eigenartigen Rolle Deutschlands im Herzen Afrikas gibt es nicht. Die Bundesrepublik ist ein Land, das es jahrelang nicht einmal merkt, wenn es 6.000 Kilometer entfernt von Verbrechern als Vorbild verehrt wird.
Dominic Johnson, Simone Schlindwein, Bianca Schmolze: „Tatort Kongo – Prozess in Deutschland. Die Verbrechen der ruandischen Miliz FDLR und der Versuch einer juristischen Aufarbeitung“. Ch. Links Verlag, Berlin 2016, 504 Seiten, 30 Euro